„Wir stehen für unsere Werte.“

Wo geht die Reise der Banken hin? Im Gespräch mit Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), geht es um Kundenbindung, die Bedeutung der Genossenschaftsidee für die junge Generation und warum die Filiale auch in der Zukunft ein Muss ist. 

Momente: Frau Kolak, fühlen Sie sich in der neuen Welt noch wohl?

Marija Kolak: Das, was derzeit in der Welt passiert, erfüllt mich natürlich mit Sorge. Vieles von dem, was seit Generationen als Grundfeste für unser Wachstum und unseren Wohlstand stand, hat deutlich an Bedeutung verloren. Darauf müssen wir uns einstellen und nach sicheren Alternativen für unsere Zukunft suchen.

Momente: Auch in der Finanzwelt ist viel Bewegung. Was sind die Trends, was sind die Treiber für Veränderung? Wo werden die Banken in – sagen wir zehn Jahren – stehen?

Marija Kolak: Ich habe keine Glaskugel. Insofern ist eine Prognose schwierig, zumal, wie Sie zu Recht sagen, es ist vieles in Bewegung. Das, was alle Banken derzeit beschäftigt, ist den Spagat hinzubekommen, die digitalen Möglichkeiten mit dem Kundenwunsch nach guter und kompetenter Beratung zu verbinden. Viele Kunden haben mit ihren Smartphones die Bank in der Hosentasche und wollen bei komplexeren Themen dann doch auch die persönliche Beratung vor Ort. 

Momente: Nicht wenige Banken setzen vor allem auf die digitalen Kanäle. Ist das die Zukunft?

Kolak: Die digitalen Kanäle haben bereits heute eine hohe Bedeutung, übrigens nicht nur bei der Erledigung täglicher Bankgeschäfte über Smartphone, Tablet oder PC, sondern auch in der persönlichen Beziehung. Viele Genossenschaftsbanken bieten Video-Beratung und auch Video-Service an. Meine Prognose ist, dass dieser Trend weiter zunehmen wird. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Menschen sich bei wichtigen finanziellen Weichenstellungen auch in Zukunft mit einem Ansprechpartner vor Ort persönlich treffen will.

Momente: Die Genossenschaftliche Bankengruppe hält also an Filialen als Vertriebskanal fest?

Kolak: Ja, aber wir müssen sie zukunftsfähig machen und unsere Standorte in das komplette Beratungs- und Angebotsmodell als wichtigen Bestandteil integrieren. Da geht es dann auch nicht um die reine Zahl der Standorte, sondern um unsere Kontaktpunkte. Also über welchen Kanal kommen unsere Kunden zu uns. Und da hat sich, wie Sie richtigerweise erwähnen, in den vergangenen Jahren sehr viel getan.    

Momente: Gab es vor rund 20 Jahren noch rund 15.000 Bankstellen waren es Ende 2023 kaum noch die Hälfte davon …

Kolak: Als genossenschaftliche Bankengruppe halten wir an unseren Filialen fest, solange unsere Kunden diesen Vertriebskanal wollen und vor allem auch nutzen. Gerade in der aktuellen Zeit, in der viele Menschen auch unsicher sind, wie sie beispielsweise ihren Lebensstandard im Alter halten, ein Eigenheim finanzieren, langfristig ihr Vermögen absichern oder Energiekosten in ihren Betrieben reduzieren können, ist das Gespräch, der Austausch mit dem Kundenberater wichtiger denn je. Ich sehe perspektivisch eher eine Renaissance der persönlichen Beratung als einen Abgesang auf die Präsenz vor Ort.

Momente: Die Geschäftsmodelle der aufstrebenden Fintechs, Neobanken und Neobroker sehen die Präsenz vor Ort gar nicht erst vor. Für die ist die Filiale ein Relikt vergangener Zeiten.

Kolak: Mag ja sein, das verkennt aber die Realität. Denn eine Regionalbank verkörpert auch viel regionales Wissen. Was passiert in der Fußgängerzone mit den Geschäften, das neue Startup, welches gegründet wird, das neue Gewerbegebiet, das sind alles Themen dieser lokalen oder regionalen Ökosysteme. Mit einem Kundenberater, der in einem Call-Center irgendwo auf der Welt sitzt, habe ich doch keine persönliche Beziehung. Ich habe auch kein Gesicht vor Augen. Unser Ansatz ist es deshalb, unseren Kunden so „convenient“ wie möglich – wie wir neudeutsch sagen – unsere Angebote erlebbar zu machen. Wenn er das Telefon möchte? Gerne. Ist er eher digital unterwegs und will Online-Banking oder die App? Auch das bieten wir an. Möchte er persönlich sprechen, haben wir auch diese Lösung. Wir nennen das Omnikanal-Banking. Wann, wo und wie der Kunde mit uns Kontakt aufnehmen will, ist seine Entscheidung, wir bieten ihm alle Möglichkeiten dafür. Wir zwingen niemanden etwas zu tun, was für uns gut und richtig wäre. Das unterscheidet uns maßgeblich von den Fintechs, die reine Online-Geschäftsmodelle betreiben. Aber eben auch von den Großbanken, die zumindest den Vertriebskanal Filiale nicht mehr ganz oben auf ihrer Agenda für den Kunden haben.

Momente: In der Marketingsprache würde man das Kundenbindung nennen.

Kolak: Da muss man gar nicht im Marketinglexikon nachschlagen. Für uns als Volksbanken und Raiffeisenbanken ist die Nähe zum Kunden seit eh und je eines unserer Kernanliegen. Kundenzufriedenheit beziehungsweise Kundennähe steht bei uns ganz oben auf der Agenda. Dafür stehen wir. 

Momente: Warum soll ich als gewerbliches oder mittelständisches Unternehmen Kunde bei einer Volksbank werden?         

Kolak: Weil wir als genossenschaftliche Bankengruppe einen kooperativen Ansatz pflegen. Wir arbeiten mit unseren Kunden zusammen, wir erarbeiten passende Lösungen. Das geht nur, wenn wir verstehen, was gewünscht wird, was einem wichtig ist, worauf wir achten sollten. Zusammenarbeiten hat immer auch etwas mit gegenseitigem Interesse zu tun. Und damit, sich aufeinander verlassen zu können. Das gilt im Besonderen auch beim Thema Kredit. Kenne ich die Unternehmen, kenne ich sein oftmals regionales Geschäftsmodell, seinen Markt, seine Wettbewerber? Das ist das, was uns als regionale Finanzgruppe ausmacht und gerade auch für Firmenkunden attraktiv ist. Bei uns sind sie keine Kundennummer, sondern das bekannte Unternehmen. Das ist unsere Stärke gegenüber anderen Wettbewerbern.

Momente: Aber wenn ich als Unternehmen im Ausland expandieren möchte? Wenn ich neue Standorte in fernen Ländern gründen möchte? Wenn ich einen Wettbewerber in Indien kaufen möchte?

Kolak: Wir begleiten unsere Kunden auch ins Ausland. Unsere DZ BANK unterstützt uns hierbei als unsere genossenschaftliche Zentralbank. Wir haben hier ausgezeichnete Expertise im Auslandsgeschäft und zahlreiche internationale Standorte von New York bis Singapur. 

Momente: Ende 2024 gab es ein besonderes Jubiläum. Fünf Jahre FinanzPunkte. Ein seinerzeit völlig neuartiges Kooperationsmodell zwischen Frankfurter Volksbank Rhein/Main und der Taunus Sparkasse. Die Medien jubelten damals „eine Idee die Schule machen sollte“. Besonders viele Nachahmer hat es derweil nicht gegeben. Woran liegt das?

Kolak: Die Frage stellt sich mir auch. Grundsätzlich geht es bei allen Entscheidungen einer Bank immer um das Potenzial, das ich in einer Idee sehe. Und den Mut, neue Wege zu gehen. Will ich mal etwas ausprobieren, will ich mal etwas testen? Die Chancen zu sehen und vielleicht auch mal in die Initiative zu gehen, ist uns in den vergangenen Jahren ein wenig verloren gegangen. Und natürlich geht es um den neudeutsch – Match. Also passen die handelnden Personen zusammen, haben sie das gleiche Ziel? Bei infrastrukturellen Projekten könnten wir sicher mehr erreichen, wenn wir mal die tradierten Pfade verlassen.

Momente: Ist es so, dass Sie im BVR neue strategische Modelle monitoren und möglicherweise einzelnen Strategien das Label Best-Practice geben? Und wie geht das genau?

Kolak: In die Fachgremien des BVR werden immer wieder Ideen hineingetragen. Dann analysieren wir das genau und ziehen eine Hypothese für den Gesamtverbund. Manchmal kommen wir zu dem Schluss, diese Idee oder jene strategische Weichenstellung passt optimal für dieses eine Geschäftsgebiet, aber eben nicht für andere. Was in Weser-Ems funktioniert, muss nicht unbedingt auch in Nürnberg klappen. Was auf Sylt eine gute Idee ist, muss nicht auch zwingend in der Wetterau funktionieren. Manchmal sehen wir Ansätze, die wir auch anderen Genossenschaftsbanken empfehlen.  

Momente: Die Kunden und Mitglieder der Volksbanken werden immer älter. Was haben Sie im Köcher, um auch junge Menschen von der genossenschaftlichen Bankenidee zu begeistern?

Kolak: Mit dem demografischen Wandel sprechen Sie ein wichtiges strategisches Thema an. Wir sind dabei, gerade die junge Generation für die genossenschaftliche Mitgliedschaft zu begeistern. Denn das, was faktisch dahintersteckt, entspricht genau ihren Werten: Community und Mitbestimmung, lokal und nachhaltig, selbstbestimmt und vernetzt. Die Maßnahmen reichen vom Kampagnenfilm Toni, in dem Mitgliedschaft anhand einer WG erklärt wird, bis zur digitalen Mitgliedschaft und Votingmöglichkeiten in der VR Banking App. Und wir haben mit Neonblau eine Gen-Z-Consultancy, bestehend aus 50 jungen Leuten, die uns berät und Ideen für diese Zielgruppe entwickelt.  

Momente: Was sagen Sie einem jungen Menschen, der 26 Jahre alt ist und gerade den ersten Schritt seiner Karriere getan hat, warum die Volksbankenwelt die richtige für ihn ist?  

Kolak: Arbeiten in einer Genossenschaftsbank ist gleich in mehrfacher Hinsicht attraktiv: Neben Möglichkeiten des flexiblen Arbeitens – sowohl räumlich als auch zeitlich – verfügt die genossenschaftliche FinanzGruppe über einen attraktiven Bildungsverbund, der ein breites Spektrum an Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten bereithält. Wer mit einer guten Qualifikation und ‚Lust auf Zukunft‘ in einer Genossenschaftsbank neu startet, wird sich in einer Kultur des gelebten Miteinanders bewegen, in der Raum für eigenständiges Arbeiten und Gestalten geboten wird. Gleichzeitig werden – allein aufgrund der demographischen Entwicklung – viele langjährige Mitarbeitende in den nächsten Jahren in den Ruhestand wechseln, woraus sich für engagierte junge Menschen neue Chancen für attraktive Entwicklungsschritte ergeben.      

Momente: In der modernen Welt geht es viel auch um Image und Verpackung. Mal Hand aufs Herz, nicht jeder ihrer Standorte entspricht dem Anspruch, hip zu sein …

Kolak: Es ist richtig, dass wir in den vergangenen Jahren stark in die digitalen Kanäle investiert haben und mancher Standort seinen früheren Charme bewahrt hat. Aber ein hipper Standort allein reicht nicht aus. Junge Menschen sind informiert, sie tauschen sich untereinander aus und kennen die Leistungen verschiedener Banken. Ich halte es für entscheidender, dass wir jungen Menschen auf Augenhöhe begegnen und ihnen überzeugende Leistungen bieten. Aber klar ist auch: Genauso wie eine smarte digitale Anwendung sind auch die Filialen ein visuelles Aushängeschild, an dessen Erscheinungsbild kontinuierlich zu arbeiten ist.

Momente: Frau Kolak, danke für das Gespräch.

Das Interview ist in gekürzter Form veröffentlicht.