Muss die Politik mehr Druck machen? Die Bürger zur Veränderung ihres Verhaltens zwingen? Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef hat eine klare Meinung: „Nein, mehr Druck helfe nicht.“
Lieber Herr Josef, wenn man Menschen fragen würde, ob sie umweltschonend oder klimaneutral leben wollen, würde wahrscheinlich die übergroße Mehrheit sagen: Na klar. Wenn es aber um das Handeln geht, tun sich viele schwer. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Mike Josef: Wir leben in einer Welt, in der sich vieles verändert und einigen Menschen machen diese Veränderungen Angst. Insbesondere dann, wenn sie sich nicht mitgenommen fühlen. Deshalb ist es gerade auch in der Politik wichtig, Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen und zu Problemen auch Lösungen anzubieten, um ins Handeln zu kommen. Politik kann klimafreundliches Verhalten fördern. In den Kommunen, aber auch in Land und Bund. Wir haben dazu in unserer Stadt etwa mit unserem Klimakonzept bereits Anreize geschaffen.
Momente: In kaum einer anderen Stadt wie Frankfurt beherrschen Porsche und Ferrari so deutlich den Stadtverkehr. So richtig umweltfreundlich ist das nicht. Feiern wir die Party bis zum Schluss?
Josef: Das kann ich nicht bestätigen. Frankfurt ist die Stadt der kurzen Wege. Die Frankfurterinnen und Frankfurter sind oft auch zu Fuß und mit dem Rad in der Stadt unterwegs.
Momente: Im „Spiegel“ war neulich zu lesen, die Stadt Frankfurt werde Tempo 20 rund um den Börsenplatz einführen. Zunächst in den Nebenstraßen, dann auch auf den Magistralen. Muss die Politik die Menschen zum Besseren zwingen?
Josef: Nein, gezwungen wird niemand. Jeder und jede hat die Wahl. In anderen Städten gilt schon länger eine Temporeduzierung.
momente: Kaum war die Meldung auf dem Markt, haben sich Handel und Dienstleister in der Innenstadt sehr kritisch zu den Plänen geäußert. Wie bekommt die Politik alle Interessen unter einen Hut, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren?
Josef: Es ist unsere Aufgabe, unterschiedliche Interessensgruppen an einen Tisch zu bringen und miteinander konstruktiv um Lösungen zu ringen.
momente: Wenn man das Thema Nachhaltig leben, arbeiten und wirtschaften wirklich ernst nimmt, muss es doch um mehr gehen, als den kleinsten gemeinsamen Nenner.
Josef: Ja.
momente: In einem Interview ein paar Seiten weiter in diesem Heft sagt Hassia-Chef Dirk Hinkel, sein Unternehmen mache genau das, was seine Kunden wollen. Seit 2003 setzt Hassia deshalb voll auf Nachhaltigkeit. Warum wollen Ihre Kunden – die Bürger und Wähler – nachhaltig produziertes Wasser im Kühlschrank haben, aber nicht in einer Stadt wohnen, die nachhaltiges Leben ermöglicht?
Josef: Wir machen in diesem Bereich viel. Ich will einige Beispiele nennen, wir sind z.B. Fairtrade-Stadt, um nachhaltig produzierende Firmen zu unterstützen. Wir setzen auf Geothermie beim Bau unseres großen neuen Rebstockbads und es gibt eine Vereinbarung zwischen unserer größten Wohnungsgesellschaft der ABG und unserem Energieversorger Mainova mit dem Ziel möglichst viele Solardächer zu bauen, damit auch die Mieterinnen und Mieter etwas vom Ausbau der erneuerbaren Energien haben. Wir unterstützen als Stadt die energetische Sanierung von Gebäuden, um Energie und Kosten zu sparen.
momente: Frankfurt hat einen Plan und will bis 2035 klimaneutral sein. Um das zu schaffen, was muss noch alles passieren?
Josef: Wir brauchen eine flächendeckende Infrastruktur für E-Mobilität und müssen noch stärker in den Ausbau der Solarenergie investieren. Unsere kommunale Wärmeplanung steht kurz vor dem Abschluss, wir sind auf einem guten Weg. Die beiden zentralen Gebiete sind Verkehr und bezahlbares Wohnen, auf diesen beiden Gebieten müssen wir die größten Fortschritte erzielen, konkret: mehr Bus und Bahn und bessere Gebäudeeffizienz für einen geringeren Energieeinsatz. Als Stadt sind wir mit unseren Partnern zudem dabei, zusätzliche E-Ladesäulen in öffentlichen Parkhäusern zu installieren.
momente: Wo sehen Sie aus Bürgersicht die größten Hürden, das Ziel zu erreichen? Oder anders gefragt, was wird den Frankfurtern am meisten weh tun?
Josef: Wir müssen für neue Ideen begeistern, nicht den Menschen Angst machen. Wenn ich mit der U-Bahn zur Arbeit in den Römer fahre, dann ist es schneller, günstiger und interessanter als wenn ich mit dem Auto fahre. Übrigens finde ich die jüngste Oxfam Studie sehr interessant, die besagt, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung so viele klimaschädliche Treibhausgase wie die ärmsten zwei Drittel der Weltbevölkerung verursacht. Wenn wir also über Verzicht sprechen, um den Klimawandel, wenn möglich, zu stoppen, dann sollten wir auch darüber sprechen.
momente: Veränderung braucht ein Ziel. So bleibt bei den Menschen nur die Frage, wohin und warum sie sich eigentlich verändern sollen. Und was das für sie bedeutet. Muss die Politik den Menschen eine klarere Perspektive geben?
Josef: Wir alle sind von Extremwetterereignissen, Waldbränden und dem Anstieg der Weltmeere bedroht. Darum müssen wir aus meiner Sicht zum Beispiel innerdeutsche Flüge auf die Schiene verlagern, da ist jeder Einzelne gefragt: Es gibt keinen Grund von Frankfurt nach Köln zu fliegen, wenn es mit dem ICE schneller geht. Dabei geht es gar nicht um Verzicht. Umweltbewusstes Verhalten erhöht in vielen Fällen sogar die Lebensqualität. Das gilt auch für die Begrünung unserer Städte, das ist gut fürs Klima und gut für die Lebens- und Aufenthaltsqualität in Frankfurt.
momente: Der leider schon verstorbene Top-Ökonom Horst Siebert aus Kiel, einer der fünf Wirtschaftsweisen, hat mal gesagt: „Um etwas verändern zu können, muss ordentlich Druck auf dem Kessel sein.“ Braucht es mehr Druck? Sind wir noch nicht da?
Josef: Es braucht nicht mehr Druck, es braucht mehr Begeisterung für die Chancen, die damit verbunden sind. Und das geht auch ohne Verbote. Es ist wichtig, die Menschen mitzunehmen.
momente: In anderen Städten erscheint der Wandel lautloser zu funktionieren. So in Paris und vor allem in Kopenhagen. Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, wie Frankfurt in zehn Jahren aussehen soll. Wie sähen diese drei Wunschträume aus?
Josef: Eine wirtschaftlich starke Stadt, die zusammenhält und vor allem in die Zukunft ihrer Kinder investiert und in der die Menschen selbstbestimmt und sicher leben – das ist für mich das Wichtigste. Was mich umtreibt ist die Frage, wie bleiben wir miteinander im Gespräch, wie verhindern wir, dass alle nur übereinander, statt miteinander sprechen. Gesellschaftlich sehe ich, dass uns oft viel mehr verbindet als uns trennt.
momente: In vielen Stadtparlamenten liegen mehr oder weniger konkrete Zukunftspläne auf dem Tisch. Stichworte wie Smart-City, Urban-Living und so weiter. Wie könnte eine Smart-City Frankfurt aussehen?
Josef: Frankfurt ist bereits auf dem Weg zur Smart City. Das bedeutet, die Verwaltung wird Schritt für Schritt digitalisiert und strategisch weiterentwickelt. Zudem gibt es den so genannten „Digitalen Zwilling“, der entwickelt wurde, um mit Hilfe von Geodaten verschiedene Szenarien zu simulieren. Auch ein Bibliothekssystem ist in Planung, mit dem die Bürgerinnen und Bürger Tag und Nacht Bücher ausleihen können. Um nur einige der Projekte zu nennen.
momente: Frankfurt ist gleich mehrfach geteilt. Es gibt die Finanzmetropole – international, Geld- und Deal getrieben. Es gibt das traditionelle Frankfurt – ruhig, fast schon gediegen. Und es gibt das Frankfurt der sozialen Brennpunkte – Drogen, hoher Migrationsanteil. Wie wollen Sie diese Gräben schließen?
Josef: Ich sehe diese Gräben in dieser Schärfe nicht. Wir sollten das Gemeinsame und das Identitätsstiftende fördern und herausstellen. Konkret: Wir müssen in unsere Schulen, Kitas, Grünflächen, Busse und Bahnen investieren und in unsere Traditionen: Das Museumsuferfest, die vielen Stadtteil- und Mieterfeste, dazu gehören die Fassnacht und vor allem auch unsere Sportvereine. Ich komme viel rum in Frankfurt und da begegne ich einem Einsatz für unsere Stadt, der mich beeindruckt. Das geht vom Fest der Freiwilligen Jugendfeuerwehr bis zu ehrenamtlich organisierten Lesenächten für Kinder. Wir Frankfurter diskutieren und meckern manchmal gerne, aber wenn ich mit den Menschen ins Gespräch komme, dann stellt sich schnell heraus: Frankfurt ist eine lebenswerte Stadt im Herzen Europas.
momente: Herr Josef, Sie sind jetzt ein paar Monate Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt. Wenn ich Sie jetzt frage, ob Ihnen Ihr Job Spaß macht, werden Sie bestimmt Ja sagen. Wenn ich Sie aber fragen würde, was haben Sie an Ihrem Job oder an Ihrer Verantwortung so vorher nicht erwartet, dann wären das was…?
Josef: Ja, Sie haben recht, das Amt füllt mich aus, ich bin glücklich Oberbürgermeister von Frankfurt zu sein. Das hatte ich nicht geplant, als ich vor 20 Jahren zum Studieren hierherkam. Wenn Sie mich nach Unerwartetem fragen: Wir sind im Büro im Mai mit 1400 Terminanfragen gestartet, mit dieser Dichte hatte ich nicht gerechnet.
momente: Herr Oberbürgermeister, danke für das Gespräch.