Warum sollen WIR jetzt verzichten?
In unserem Future-Forum sitzen junge Kunden. Sie halten uns den Spiegel vor. Sie sind kritisch. Sie treiben uns an. Sechs von Ihnen haben wir zum Gespräch gebeten. Das Protokoll …
Wie denkt unsere Jugend? Was macht ihnen Angst? Was Sorgen? Was lässt sie hoffen? Was fordern sie für ihr Leben? Ein Round-Table-Gespräch – zum Augen öffnen…
Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Klimawandel, Inflation, Krieg in Europa … Bereitet Ihnen das Sorgen? Wie gehen Sie damit um? Wie sehen Sie in Ihre eigene Zukunft?
Tom Welter: Ich bin jetzt sehr froh darüber, das Abitur geschafft zu haben. Der Klimawandel ist für mich mysteriös. Ja, man merkt, da passiert etwas, aber ich kann das für mich nicht wirklich greifen. Und ja, die Frage, wie geht es insgesamt mit der Wirtschaft weiter, beschäftigt mich schon auch…
Carolin Grün: Ich studiere Physik und blicke deshalb immer auch aus der naturwissenschaftlichen Perspektive auf die angesprochenen Themen. Um ehrlich zu sein, wollte ich mit meinem Studium irgendwie auch die Welt retten und z.B. eine Batterie erfinden, die alle Probleme löst. Dies gestaltet sich jedoch schwieriger als gedacht, jetzt hoffe ich zumindest meinen Beitrag leisten zu können.
Lars Drewing: Ich sehe vor allem Chancen. Mich interessieren Risiken nicht so sehr. Ich studiere Wirtschaftsinformatik und glaube, dass in künstlicher Intelligenz ein Riesenpotenzial steckt, um viele Probleme zu lösen. Vielleicht nicht beim Klimawandel. Aber sicher bei den Wirtschaftsthemen.
Johannes Risch: Ich habe als Steuerberater und Immobilienverwalter einen guten Einblick in die Gesellschaft. Mir gehen manche Verbote der Politik zu weit.
Carolin Grün: Wir, die junge Generation, können die Probleme der Welt, welche täglich in den Nachrichten zu sehen sind, leider nicht verhindern und nicht lösen. Somit ist es schwierig, die Jugend zu genießen, wenn man sich zu viel mit all dem Leid beschäftigt. Vielleicht sind wir naiv. Mag sein. (alle nicken heftig zustimmend)
Party statt Probleme?
Carolin Grün: Zwei Jahre Corona haben unsere Jugend eingeschränkt. Deshalb wollen wir jetzt unsere eigene Zukunft planen und unsere Freizeit genießen. Ich hoffe, Sie können das nachvollziehen.
Theresa Hochstädter: Als Sozialpädagogin beschäftigt mich derzeit am meisten das Thema Inflation. Alles wird teurer. Man muss mit seinem Gehalt zurechtkommen. Gerade die Menschen mit schwächeren Einkommen haben echt zu kämpfen.
Luca Tombers: Ich habe jetzt einen ersten Job, auf den ich mich konzentriere. Ich bin ein positiv denkender Mensch und schaue nach vorne. Es hilft ja nichts, den Kopf in den Sand zu stecken.
Ganz schön viel „Ich.“ Machen Ihnen die Nachrichten keine Sorgen? Wir wollen nicht den Weltuntergangspropheten folgen, aber es geht bei vielen Themen doch um Ihre Zukunft?
Luca Tombers: Veränderungen finden so oder so statt. Da haben wir wenig Einfluss drauf. Dazu kommt, dass wir, wenn wir ehrlich sind, bislang immer sehr wohlbehütet leben konnten. Wenn man sich andere Länder um uns herum anschaut, haben die ganz andere Probleme. Klar, wir bekommen das durch die Medien mit, aber es betrifft uns (noch) nicht direkt.
Johannes Risch: Die aktuellen Probleme sind doch noch gar nicht bei uns angekommen. Zum Beispiel das Thema Inflation. Ja, das Bier ist jetzt ein bisschen teurer. Aber bei mir und in meinem Freundeskreis hat das keinen Einfluss. Und der Krieg hat doch auch keine Auswirkungen auf mein Leben. Zum Glück wohnen wir nicht in der Ukraine. Deutschland sollte sich aus der Umklammerung der westlichen Gedankenwelt lösen. Wir haben eine Gaspipeline. Wenn wir mit Putin Handel treiben, haben wir weniger Sorgen. Ich weiß, das ist radikal gedacht, aber wir müssen doch sehen, wie Deutschland und die Wirtschaft und die Menschen künftig weiter in Wohlstand leben können. Vor allem in den unteren Einkommensgruppen ist das Heizen ein echtes Thema. Und die Politik erzählt uns die ganze Zeit etwas von 500.000 Wärmepumpen. Die haben wir nicht und die bekommen wir auch nicht…
„Bier ist jetzt ein bisschen teurer“
Was kann, was muss die junge Generation tun?
Lars Drewing: Ich bin sehr fortschrittsgläubig. Und wenn man sich die Geschichte der Forschung ansieht, dann gab es immer Lösungen für die Probleme der jeweiligen Zeit. So wird das auch jetzt sein. Nicht für den Krieg, aber sicher für den Klimawandel.
Haben Sie einen Traum?
Carolin Grün: Ja, ich denke alle Menschen haben Träume. Ich möchte gerne in einer Welt ohne Krieg und in Frieden leben, ohne die Sorgen um das Klima und vieles mehr. Zum Glück haben wir viele Technologien, um den Klimawandel zu verlangsamen und eine lebenswerte Zukunft sichern zu können. Hier gibt es bereits gute Ansätze, die in der Zukunft eine wichtige Rolle einnehmen. Dazu zählen zum Beispiel der Wasserstoff, moderne Atomkraftwerke und das Erzeugen von Kernfusion auf der Erde.
Nicht wenige Experten sagen, den Klimawandel zu stoppen wird uns nicht gelingen. Wir müssen uns darauf einstellen, damit zu leben…
Carolin Grün: Genau das ist doch der Punkt. Für das, was jetzt auf uns zukommt, können wir nichts. Wir müssen uns darauf einstellen und damit umgehen. Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen, um den Klimawandel in Zukunft zu verlangsamen. Ich blicke auf eine lebenswerte Zukunft, in der auch wir Freude und Spaß am Leben haben können.
Und wenn das Leben mit dem Wandel Verzicht bedeuten würde?
Tom Welter: Ich finde Verzicht ist nicht die Lösung. Wir wollen und wir müssen die Dinge weiterentwickeln. Vielleicht helfen auch traditionelle Dinge, die wir auf den heutigen oder sogar künftigen Anspruch weiterentwickeln können.
Also keine Askese und Verzicht, sondern Konsum und Wohlstand und Wachstum und Spaß. Lieber Innovation?
Tom Welter: Ich glaube, die Menschen sind nicht auf Verzicht gepolt. Alle wollen in die Ferien fliegen. Alle wollen sich schöne Sachen kaufen und das Leben genießen. Und wenn Sie sich die Diskussionen im Fernsehen mit Politikern ansehen, da taucht die Vokabel Verzicht so gut wie nie auf. Ich glaube, das käme auch nicht gut in der Gesellschaft an. Und die Politiker wollen ja alle wiedergewählt werden … Aber warum wir nicht wieder die Milch oder die Cola aus Glasflaschen trinken, verstehe ich nicht. Das wäre Verzicht, den viele Menschen mittragen würden.
Johannes Risch: Das sehe ich ganz anders. In den Talkshows wird doch nur noch über Verzicht und Einschränkung gesprochen. Ich halte das für komplett falsch. Wir müssen innovativ sein, wir müssen Dinge anders oder neu denken. Wenn wir verzichten, nehmen wir uns den wichtigsten Antrieb für die Weiterentwicklung – den Konsum, das Leben, das Lachen.
Theresa Hochstädter: Ich habe während meines Studiums in einem Jugendhaus gearbeitet. Und als Corona kam, mussten wir leider schließen. Die meisten Jugendlichen kamen aus Familien mit einem sozioökonomisch niedrigen Status und sie haben es nicht verstanden, warum wir aus der übergeordneten Gesundheitslage das Jugendhaus schließen mussten. Das Jugendhaus stellt ein Rückzugsort für sie dar, in dem sie einen Freiraum bekommen, um sich zu entfalten und ihre Jugend zu leben. Diesen Rückzugort haben viele daheim nicht. Klar haben wir versucht, darüber mit den Jugendlichen zu diskutieren. Aber das Ergebnis war nicht überzeugend, weil das Thema Corona eher negativ belastet ist und es eher als Einschränkung ihres Lebens gesehen wird. Die interessiert mehr der neueste Tiktok-Trend oder was gerade auf Instagram angesagt ist.
„Das hat nichts mit einer Ich-AG zu tun“
Besteht die Jugend aus vielen kleinen Ich-AGs?
Theresa Hochstädter: Wenn Sie damit das Sich-Selber-Kennenlernen und Ausprobieren meinen, dann ja. Vielleicht nicht alle, aber viele.
Johannes Risch: Nein. Das ist Quatsch.
Luca Tombers: Jugendliche müssen sich doch immer erst einmal selbst finden. Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie komme ich an? Das hat ja nichts mit Ich-AG zu tun, sondern ist unser gutes Recht als Heranwachsende. Das Recht hatten alle anderen vor uns auch. Bei uns älteren Jugendlichen findet ein Bewusstsein für und eine Auseinandersetzung mit den Problemen „da draußen“ durchaus statt. Da diskutieren wir Ideen und Lösungen. Daher nehme ich auch meinen Optimismus. Das hat nichts mit Leichtgläubigkeit zu tun.
Als ich etwa so alt wie Sie war, hatten wir auch unsere Krisen. Und es war Mode, es war aber auch Jugendkonsens, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Heute haben Sie ganz andere Möglichkeiten. Frau Hochstädter erwähnte es. Tiktok, Facebook, Youtube. Für was würden Sie auf die Straße gehen?
Theresa Hochstädter: Die jüngsten Abtreibungsgesetze in den USA. Da wäre ich auch auf die Straße gegangen…
Johannes Risch: Wenn sich das linke Lager in Deutschland durchsetzen würde und wir ernsthaft über Enteignungen oder massive Einschnitte in unser gewohntes Leben reden würden. Wir brauchen Innovation. Wenn die uns das in den Urlaub fliegen verbieten, was passiert denn dann? Dann werden irgendwann keine Flugzeuge mehr gebaut. Und Innovationen finden dann nicht mehr statt. Und dann fliegt keiner mehr irgendwo hin.
Lars Drewing: Ich bin nicht der Typ dafür.
Carolin Grün: Ich würde vor allem für Freiheit demonstrieren gehen. Jedoch bin ich sehr zuversichtlich, dass dies in Europa nicht notwendig sein wird.
Verteidigt der Westen in der Ukraine die Freiheit des Westens? Und müsste nicht viel mehr gegen die russische Aggressionspolitik demonstriert werden?
Tom Welter: Putin verfolgt damit sicher die Destabilisierung des westlichen Wertesystems. Und das ist eine schlimme Sache. Einen dritten Weltkrieg sehe ich nicht. Ja, vielleicht sollte man mal über eine Demo nachdenken.
Und wenn das für unsere Konsumgesellschaft wichtige Gas von Putin abgedreht wird? Wäre das ein Grund?
Luca Tombers: Ich bin der Meinung, dass Demonstrationen uns nicht weiterbringen.
Lassen Sie uns eine Quick-Questions-Runde machen. Was sind die größten Probleme oder Herausforderungen? Die Gefahr eines dritten Weltkrieges?
Alle: Nein!
„Der Druck auf dem Kessel ist nicht groß genug“
Ist das Thema Inflation das wichtigste Sorgenthema?
Theresa Hochstädter: Für mich schon. Gerade in den schwächeren Sozialschichten entsteht da ein mächtiger Zündstoff für die gesamte Gesellschaft.
Luca Tombers: Das sehe ich auch so.
Das Thema Klimawandel?
Alle: Ja.
Theresa Hochstädter: Nein, ich bleibe bei der Inflation.
Luca Tombers: Meiner Meinung nach ist der Klimawandel nicht das größte Problem.
Und das Thema Demokratie? Es gibt Studien, dass die Anzahl der Staaten mit klassischen und echten Demokratien immer weniger werden.
Johannes Risch: Für mich ist das das größte Risiko.
Tom Welter: Ich vertraue auf das Grundgesetz. Aber ja, damit steht und fällt alles.
Jetzt haben wir lange über Risiken, Sorgen und Ängste diskutiert. Was lässt Sie hoffen?
Lars Drewing: Der technologische Fortschritt wird unsere Probleme lösen. Das ist weniger meine Hoffnung als mehr meine Überzeugung. Wahrscheinlich reicht aber derzeit der Druck auf dem Kessel noch nicht. Das ist wie bei Klausuren. Erst wenn die nächste Prüfung unmittelbar bevorsteht, beginnt man mit dem Lernen.
Tom Welter: Das mit der Klausur finde ich ein gutes Bild…
Theresa Hochstätter: Ich hätte eine Hoffnung, aber die wird wohl nicht erfüllt. Aus meiner jungen Berufserfahrung weiß ich, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Und das meine ich nicht nur beim Geld, sondern auch was schulische Ausbildung und Lebenschancen angeht.
„Die Schere zwischen Arm und Reich muss geschlossen werden“
Johannes Risch: Wir brauchen die besten Lehrkräfte, die engagiertesten Lehrer gerade dort, wo sie am nötigsten sind. Also in den Brennpunkten. Nur so bekommen wir mehr Chancengleichheit.
Theresa Hochstädter: Genau …
Luca Tombers: Der Ansatz ist nicht schlecht, aber wie soll das funktionieren? Den Engagiertesten und gut Ausgebildeten fehlt eine persönliche Motivation, dass die Schere sich wieder schließt. Dieser Anreiz wird aber bislang eher weniger in der Gesellschaft vermittelt.
Liegt es auch daran, dass wir Älteren nicht wirklich etwas verändern wollen und wir damit nicht als gutes Beispiel voranzugehen?
Luca Tombers: So würde ich das nicht sagen. Vielleicht fehlt den Älteren einfach das Bewusstsein. Und den Jüngeren der Wille für das zu „zahlen“ bzw. geradezustehen, was die Vor-Generation vermasselt hat.
Wenn man das Thema Klimaschutz ernst nimmt, wird es für umweltschädliches Verhalten einen Preisaufschlag geben müssen. Sind sie bereit dazu?
Carolin Grün: Ja klar, um Erfolge zu verzeichnen, muss es meiner Ansicht nach gewisse Einschränkungen geben und wir müssen den Umgang mit unseren begrenzten Ressourcen verbessern. Wir sind die Generation, die als erstes mit den Folgen des Klimawandels leben wird.
Tom Welter: Spüren wir ja schon. Die Sommer werden immer heißer, um die deutschen Wälder steht es schlecht. Die Ahrtalkatastrophe. Ich glaube, wir sind schon mittendrin.
Carolin Grün: In den Urlaub fliegen, ist per se kein Fehler. Aber ein Ausgleich für die dabei entstandenen Umweltbelastungen sind in günstigen Flügen derzeit nicht enthalten. Ich glaube und hoffe, dass dies in Zukunft kommen wird.
„In den Urlaub zu fliegen ist kein Fehler“
Johannes Risch: Die ältere Generation ist ja viel Einkommenstärker als die junge. Ich würde einiges davon halten, wenn diese Gehaltsgruppen eine Umweltabgabe oder über Steuern für ihren Konsum zur Kasse gebeten würden. Aber ich glaube das ist eine Illusion, dass das passieren wird.
Carolin Grün: Ich finde die Idee nicht schlecht, aber ich sehe die Schwierigkeit in der Umsetzung. Da die ältere Generation sich heute auch für das Klima einsetzt und früher nicht das Bewusstsein hatte, durch ihren Konsum die Erderwärmung zu begünstigen. Wir leben in einer Welt, die mittlerweile nicht mehr so ist, wie sie noch vor wenigen Jahren war.
Jetzt klingen Sie aber wie Fridays for Future… Wird der Markt es über die Preise und den technologischen Fortschritt richten? Oder muss der Staat mit Verboten und Einschränkungen ran?
Tom Welter: Aber die DDR hat gezeigt, dass ein starker Staat und wenig individuelle Freiheit auch nicht funktioniert. Ich glaube, das behindert dann auch Innovationen und Fortschritt.
Lars Drewing: Woher soll der Staat denn wissen, was richtig oder falsch ist? Ich glaube der Fortschrittsgedanke hat viel mit individuellen Ideen und Wettbewerb dazu zu tun.
Carolin Grün: Corona hat uns von heute auf morgen gezeigt, wie schnell Freiheit eingeschränkt wurde, damit das Überleben Tausender Menschen gesichert werden konnte. Dies zeigte positive Wirkung auf das Infektionsgeschehen, jedoch gab es auch negative Folgen für die Entwicklung jedes Einzelnen. Deshalb glaube ich fest daran, dass Austausch und Diskussion immer die ersten Schritte vor staatlichen Beschränkungen sein sollten.
Johannes Risch: Stimmt.
Theresa Hochstädter: Wichtig sind Freiheit und Individualität.
Das ist ein gutes Schlusswort. Ich danke Ihnen allen herzlich für diesen tollen, ehrlichen und ausführlichen Dialog. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht. Noch wichtiger aber: Ich habe viel gelernt. Danke.
Moderation: Eva Wunsch-Weber, Sascha Winkel.
Redaktion: Ulrich Porwollik