Zwei Banken legen ihre Systeme übereinander. Sieben Terabyte Daten werden rauf- und runtergeladen. Das ist in etwa so viel wie 3.500 Filme in HD-Qualität. Ein Blick durchs Schlüsselloch in ein Mammutprojekt
Prallgefüllte Präsentkörbe, frischer Kaffee, Schokolade vom Feinsten. Freundliche Hostessen. Selbst die Vorstandsmitglieder stempeln Überweisungsträger, helfen, wo Hilfe nötig ist. Was ist los? Ist das noch eine Bank? So viel Freundlichkeit, Herzlichkeit und Dankbarkeit… Mitarbeiter als Supporter, deutlich erkennbar am dunkelblauen Poloshirt, neue Touchdisplays. Irgendwie alles ganz anders und doch alles ganz gleich. Ein klares Signal an Kunden: Wir sind 1. Die Woche 1 nach dem dann auch technischen Zusammenwachsen zwischen Frankfurter Volksbank Rhein/Main und der Raiffeisen-Volksbank Aschaffenburg sollte zu einem echten Aha- und Wow-Effekt bei Kundin und Kunde werden.
Montag, 25. November 2024, früh am Morgen, die Filialen am Bayrischen Untermain haben sich herausgeputzt. Die Kunden merken sofort: Hier gibt’s viel Neues – und auch viel Bewährtes. Die Ansprechpartner vor Ort sind natürlich geblieben. Aber so manch Technisches ist neu. Denn jetzt sind Raiffeisen-Volksbank Aschaffenburg und Frankfurter Volksbank Rhein/Main auch technisch zusammengewachsen.
Das alles passierte an dem vorangegangenen Wochenende. Im Bankenlatein eine technische Fusion. In der realen Welt: ein monatelang akribisch geplantes Zusammenlegen von Kundendaten, Systemen, Prozessen und Strukturen. Eine Mammutaufgabe. Immerhin galt es die größte jemals gestemmte Fusion im genossenschaftlichen Sektor für die Kunden so geräuschlos wie möglich über die Bühne zu bringen.
Rückblick. Im vergangenen Winter, Montag, 5. Februar. Kick off Projekt technische Fusion. Im Mittelpunkt von Phase 1: die Analyse, die Zusammenstellung der Teams und die Erstellung des sogenannten Fusionshandbuchs, eine Art Regieplan. Denn noch steht die Zustimmung der Vertreter beiden Banken als entscheidender Meilenstein aus. Erste Vorbereitungen, neudeutsch nennt man das den Scope herstellen. An was muss alles gedacht werden? Wer muss eingebunden werden? Und wann? Das grüne Licht der Anteilseigner im Mai und Juni steht noch aus, aber wenn im November die Systeme und Daten erfolgreich migriert werden sollen, muss jetzt vorgearbeitet werden. Das ist wie die erste Begehung einer Landschaft, wenn eine Brücke gebaut werden soll.

„Mehr als 2.000 To-Dos umfasst das Fusionshandbuch“, berichtet Sandra Machens, Abteilungsleiterin Betriebsorganisation in der Frankfurter Volksbank Rhein/Main. Sie ist der eine Mastermind. Johannes Rehak, Dezernatsleiter QVD bei den Aschaffenburger Kollegen, ihr Pendant. Beide ruhig. Beide fokussiert. Beide mit dem Blick auf das Detail.
Die Aufgaben reichen von der Umstellung der Bankleitzahl über die Anbindung der Geldautomaten, und vom Onlinebanking bis zur Zusammenlegung aller Datenbestände. In Aschaffenburg ändern sich die Mailadressen. Die Druckeransteuerung für interne Prozesse. Das Telefon. Die Stimmung im Team zu Beginn bis zum Schluss: „Das Gemeinschaftsgefühl war sofort da, alle haben an einem Strang gezogen“, erinnert sich Machens. „Das Motto ‚Wir sind 1‘ haben wir von der ersten Minute an gelebt. Und das bis in den November und darüber hinaus.“ Große Ziele haben Teams schon seit jeher zusammengeschweißt.
Ein überzeugendes Votum zum Zusammenwachsen gibt Ende Mai die Vertreterversammlung in Frankfurt. Wenige Wochen später folgen die Eigentümer in Aschaffenburg. Noch während des Applauses der Eigentümer beginnt es in den Köpfen der beiden Fusions-Brains Machens und Rehak zu arbeiten. Ab jetzt stehen alle Zeichen für ein Wochenende in der zweiten Novemberhälfte. Startpunkt für Phase 2. Jetzt kann das neue Powerhaus in der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main an den Start gehen.
Diverse Runden und Besprechungsformate werden etabliert. Wöchentliche, manchmal tägliche Calls oder Videokonferenzen. Marktmänner und -frauen – vertreten durch Filialleiter, die Revision, die Juristen, Vertrieb und Vertriebssteuerung, natürlich Vertreter der Orga und der IT-Abteilungen, dazu Vorstand und Unternehmenskommunikation. Viele Menschen, viele Themen. Es geht um viel. Es geht um den Abgleich von Informationen, es geht um Fortschritt in den tangierten Strukturen, um Problemstellungen, um Lösungen von Problemen. Woche für Woche reift der Plan für die Technik. Ein Schulungskonzept wird erarbeitet, weil die Änderungen in den internen Abläufen doch größer sind als zunächst erwartet. Über die Monate hinweg entsteht ein Kommunikationsplan. Geldautomaten müssen neu programmiert werden, genauso wie Kontoauszugsdrucker. Die Webpage bekommt ein neues Look & Feel. Lange Fragenkataloge werden erstellt. Und die Antworten dazu. Und wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das auch finden. Und ein Plan, was zu tun ist, wenn es an diesem einen Wochenende im November nicht wie geplant läuft.
Das Fusionswochenende rückt näher. Allein in der Betriebsorganisation sind mehr als 20 Kolleginnen und Kollegen eingespannt, ebenso in der IT. Und in der ganzen Bank – täglich werden es mehr. Zahlreiche Teams aus Aschaffenburg und Frankfurt sowie aus den Regionalmärkten und Dezernaten setzen alles dran, die Fusion erfolgreich über die Bühne bringen – und mit möglichst geringen Einschränkungen. Auch im Rechenzentrum der Genossenschaftsbanken, der Atruvia, sind mehr als 30 Mitarbeiter eingebunden, zwischendurch stoßen am Fusionswochenende auch mal kurzfristig weitere 15 Spezialisten dazu.
IT und Datenmigration sind das eine, die Schulung der Kollegen das andere. Permanent finden Trainings statt, dafür wird eigens eine sogenannte Zukunftswerkstatt in Aschaffenburg eingerichtet. Neue Schulungsunterlagen und Erklärvideos werden angeboten, der „Marktplatz“ – die zentrale, interne Info-Plattform wird laufend erweitert. „Eine wirklich imponierende Leistung“, findet Machens. Und Rehak ergänzt: „Zum vertrauensvollen Miteinander hat beigetragen, dass die Mannschaft das Projekt intern gestemmt hat und keine externen Berater dazu gezogen wurden.“ Anders gesagt: Alle möchten unterstützen und zum Zusammenwachsen beitragen.
Freitag, 22. November. Es wird ernst. Ein besonderer Moment? „Morgens früh sind die Kollegen der IT ausgeschwärmt, haben dann in den Filialen neue Pins – also Zugangsdaten – an jeden Kollegen verteilt und bei der Umstellung der Systeme unterstützt“, erinnert sich Machens. Für sie war das der sichtbare Auftakt zur technischen Fusion – quasi wie das Auslaufen einer Flotte. Doch vieles spielt sich digital ab: Erst hochladen ins Rechenzentrum, dort neu strukturieren, dann wieder downloaden. Ein bisschen so, wie wenn beim Handy-Wechsel die Daten vom alten aufs neue Gerät übertragen werden. Nur in 100XL, der IT-Dienstleister hat eigens seine Kapazität aufgestockt, um die Datenmengen zu bewältigen. Insgesamt werden im Fusionsprozess sieben Terabyte hochgeladen – das entspricht 1,4 Millionen MP3-Songs in mittlerer Qualität oder 3.500 Stunden HD-Film. Immerhin sind jedem Kunden im Durchschnitt rund 750 Datensätze zugeordnet – von der Kontonummer fürs Girokonto bis zum Freistellungsauftrag.

Ein To-Do nach dem anderen wird abgearbeitet, zwischendurch immer wieder getestet. Beispiel: „Samstag früh um 7.30 Uhr war das Thema GiroCard erfolgreich umgesetzt. Zwei Kollegen waren unterwegs, um die Kartenzahlung auszuprobieren“, berichtet Machens. Insgesamt knapp 500 PCs, 119 Geldautomaten und SB-Geräte sowie 65 Drucker werden umgestellt. Sonntagabend schließlich ist die Arbeit am Orga-Leitstand in Frankfurt getan (der IT-Leitstand war freitags in Aschaffenburg mit 20 Kollegen angesiedelt). Letzte große Aufgabe: das Online-Banking wieder erfolgreich in Betrieb zu nehmen. Um 15 Uhr geht es wieder ans Netz, früher als geplant. Mehr als ein Erfolg, es ging schneller als erwartet.
Damit bleibt auch die Sorge von Sandra Machens unbegründet: „Die große Frage war, ob die Zeit angesichts der Datenmenge und Komplexität wirklich reicht.“ Ähnlich geht es Johannes Rehak: „An manchen Tagen hat man schon eine Frage mit nach Hause genommen und weiter gewälzt.“ Sonntagnachmittag aber ist klar: Die Notfallpläne können in der Schublade bleiben. Die zuvor eingerichtete Notfall-Whats-App-Gruppe bleibt pro forma bestehen. Sicher ist sicher. Daumen hoch heißt es Sonntag Nachmittag.
Montagmorgen. The day after. 1.000 Flaschen Apfelsecco, 1.000 Flaschen Glühwein und Hunderte Packungen Lebkuchen stehen bereit. In manchen Filialen sind schon mittags die Rauchwürstchen vergriffen. Alles aus der Region. Dazu noch mehr als 12.000 Tafeln feinste Schokolade.
Schlag neun Uhr gehen die Türen der Filialen auf. Viele, sehr viele Kunden und Kundinnen sind gekommen. Viele sind neugierig, manche haben Fragen. Auch einige mit Problemen mit der App, mit dem Online-Banking. Bei einigen Kunden funktioniert der automatisierte Zahlungsverkehr nicht wie gewohnt. Nahezu alles lässt sich schnell regeln. Auch mehr als 30 Supporter aus anderen Filialen und Bereichen sind vor Ort, unterstützen am Bayrischen Untermain. Im KundenDialogCenter rufen deutlich mehr Kunden an als üblich, insgesamt mehr als 6.000 in den ersten Tagen. Die Zahl der Website-Besucher steigt um 25 Prozent. Ähnliches Bild intern: Die Mitarbeiter-Hotline verzeichnet rund 1.400 Anrufe von Freitag bis Dienstag, der IT-Bereich bekommt knapp 1.500 Anfragen.
Fazit: Die größte technische Fusion unter Volks- und Raiffeisenbanken ist geschafft, alle Systeme und Daten sind zusammengeführt.