„Was ist schlecht am Wandel?“

Ein Plädoyer für die Aktie und warum die Transformation viele Gewinner hervorbringen wird. Christine Bortenlänger, Chefin des Deutschen Aktieninstituts, ist bullish für den Wandel.

Eine schicke Villa im Frankfurter Westend. Hier residieren das Deutsche Aktieninstitut und die geschäftsführende Vorständin Christine Bortenlänger. Ihr Büro wirkt aufgeräumt. Moderne Kunst an den Wänden. Stapelweise und akkurat liegen die Halbjahresberichte des Instituts „Kurvenlage“ auf einem Sideboard. Der Rollkoffer in der Ecke zeigt: Christine Bortenlänger ist schon wieder auf dem Sprung. 

Momente: Frau Bortenlänger, das Thema „Nachhaltig leben, arbeiten und wirtschaften“ ist en vogue. Ist das auch schon am Kapitalmarkt angekommen? Treffen Anleger ihre Investitionsentscheidungen nach den ESG-Kriterien?

Christine Bortenlänger: Es gibt Studien dazu, die aber zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die einen sagen, das sei immens wichtig, die anderen behaupten das Gegenteil. Und dann gibt es ja auch noch die These, dass grüne Unternehmen eher renditeschwach sein müssen, weil das alles Gutmenschen sind. Und natürlich gibt es auch dort die Gegenthese: Gerade grüne Unternehmen sind renditestark. Meine Conclusio ist: Die Menschen können nicht wirklich beurteilen, ob ein Unternehmen den ESG-Kriterien entspricht, also nachhaltig wirtschaftet.

Momente: Und das liegt woran?

Bortenlänger: Der Begriff Nachhaltigkeit hat ja viele Interpretationen. Ein Unternehmen, das in den USA gelistet ist und dort als nachhaltig anerkannt ist, erfüllt in Deutschland noch lange nicht diese Kriterien. Für professionelle Investoren ist es schon wichtig, ob ein Unternehmen auch die Auflagen der Regulierung einhält, wie zum Beispiel das Lieferkettengesetz. Die achten auch auf das Einhalten des E und S und G. Die Privatanleger lassen sich eher von der veröffentlichen Meinung bei ihren Investitionsentscheidungen leiten. 

Momente: Und dann gibt es ja auch immer wieder überraschende Kehrtwenden. Bis zum Kriegsbeginn in der Ukraine war die Rüstungsindustrie für viele Anleger – ein klares No-Go -. Das hat sich dann quasi über Nacht umgekehrt. Jetzt sind das Unternehmen, die die Freiheit schützen und bewahren.

Bortenlänger: Genau. Und in Deutschland haben wir den Atomausstieg beschlossen, während die Atomindustrie in Frankreich grün, also nachhaltig ist. 

Momente: Wie kann ich, wenn ich mein Geld in nachhaltig wirtschaftende Unternehmen anlegen will, herausbekommen, ob das ein nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen ist oder nicht? 

Bortenlänger: Es gibt ja mittlerweile eine Reihe von Indizes, in denen Unternehmen geführt werden, die besonderen Wert auf das Thema Nachhaltigkeit legen. Oder Sie legen Ihr Geld gleich in Nachhaltigkeitsfonds oder ETFs an, da gibt es inzwischen einige. Nicht alle Privatanleger haben Lust oder die Ausbildung dazu, einzelne Unternehmen zu analysieren. Zudem bekommt man so gleich eine Streuung ins Depot, für die ich ja immer werbe.   

Momente: Bleiben wir noch einen Moment bei den unsäglichen Kriegen. Wenn sich Wertesysteme quasi über Nacht ändern, ist das doch ein Alptraum für Anleger. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine schossen die Aktien von Waffenproduzenten in ungeahnte Höhen. Es gibt aber auch die andere Richtung. Nach dem in Deutschland beschlossenen Atomausstieg kannten die Kurse der Energieversorger nur noch eine Richtung. Nach Süden. 

Bortenlänger: Exogene Effekte gab es schon immer. Als wir 2021 über die DAX-Kriterien diskutiert haben, war die herrschende Meinung, keine Rüstungsunternehmen in den DAX. Damit wäre Airbus zum Beispiel aus dem Index geflogen. Ich war schon damals anderer Meinung und finde, das wäre ein völlig falsches Signal gewesen. Ich finde, es ist ein hohes Gut, wenn ein Land verteidigungsfähig ist. Und dafür brauchen wir die Rüstungsindustrie. 

Momente: Die Politik als Show-Stopper für die Anleger?

Bortenlänger: Der Gesetzgeber ist der Souverän. Er trifft die Entscheidungen für die – so will ich es formulieren – Leitplanken, innerhalb derer sich die Unternehmen bewegen können. Manchmal wünschte ich mir eine ruhigere Hand dabei. Aber wir empfehlen ja seit vielen Jahren den Anlegern …

Momente: … möglichst breit zu investieren. Ja, das wissen wir.

Bortenlänger: … und den Mainstream zu hinterfragen.

Momente: Sie empfehlen auch seit vielen Jahren langfristig zu denken, wenn es um die Geldanlage geht. In Zeiten der Transformation ist das so eine Sache. Woher soll ich als Anleger wissen, welche Unternehmen es in zehn Jahren noch gibt? Was sind Kriterien, die das messen oder auf die ich mich verlassen kann?

Bortenlänger: Die Aktienrenditen liegen im langfristigen Schnitt immer zwischen sechs und neun Prozent pro Jahr. Darauf können sie sich verlassen.

Momente: … das beantwortet aber nicht meine Frage …

Bortenlänger: Wir haben dieses Jahr das 35-jährige DAX-Jubiläum. Wenn Sie zurückblicken, dann gab es ständig Transformation. Und es gab heftige Krisen: die Finanzkrise, der Atomausstieg, Covid. Dennoch, wenn Sie 1988 10.000 Euro in einen DAX-Fonds investiert hätten, würde Ihr Depot aktuell 150.000 Euro ausweisen. Was ich damit sagen will ist, dass die breite Streuung des Risikos natürlich auch vor Totalausfällen schützt. Auf der anderen Seite aber eben auch, dass Sie als Anleger von unerwarteten Transformationsleistungen oder neuen Geschäftsmodellen massiv profitieren können. Vielleicht ein Beispiel: Der Traditionskonzern Linde hatte früher Gas, das Engineering und die Gabelstapler im Portfolio. Das Gabelstaplergeschäft wurde verkauft und Linde schluckte einen US-Gas-Lieferanten. Der Kurs hat sich zuletzt fast verdoppelt.

Momente: Ex post ist man immer schlauer. Wenn es um nachhaltiges Wirtschaften geht, sind fossile Rohstoffe nicht mehr so richtig ein Zukunftsmodell. Und damit doch auch die Mineralölwirtschaft, vielleicht sogar die Autoindustrie.

Bortenlänger: Ach, warten Sie mal ab. Ich bin da nicht so pessimistisch. Wer weiß, welche Innovationen gerade in diesen Industrien in den kommenden Jahren noch passieren. Ich würde jedenfalls das Verbrennerauto noch nicht ganz aufgeben wollen. Unternehmen an der Börse sind gezwungen, innovativ zu sein und Produkte am Markt zu haben, die auf eine Nachfrage treffen. Das hat, wenn man sich die Börse ansieht, in den vergangenen 100 Jahren immer gut funktioniert. Aber natürlich gibt es auch Unternehmen, die das Interesse ihrer Kunden verfehlt haben oder sich nicht auf Neuerungen einstellen konnten. 

Momente: Sie sprachen gerade von Totalverlusten, den sogenannten Stranded Assets …

Bortenlänger: … auch die hat es schon immer gegeben. Denken Sie nur mal an die Eisenbahn-Industrie in den USA. Da gab es mal hunderte von Unternehmen. Übriggeblieben sind nur einige wenige. Den Wandel und all die Folgen, die Sie heraufbeschwören, den gab es schon immer.

Momente: Ein letztes Aber: Aber dieser Wandel betrifft ja nicht nur vereinzelte Branchen. Wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, muss doch das gesamtes Lebens- und damit Geschäftsmodell auf den Prüfstand?

Bortenlänger: Und was ist daran schlecht? Wir werden Innovationssprünge erleben. In bestehenden Unternehmen. Neue Unternehmen werden entstehen und an die Börse gehen. Der Wandel kennt immer auch Gewinner. Ich will die Herausforderungen bestimmt nicht verniedlichen. Aber wir Deutschen neigen immer eher dazu, schwarz oder dunkelgrau zu sehen, während in anderen Kulturen viel mehr auf die Chancen geschaut wird.

Momente: Frau Bortenlänger, danke für das tolle Gespräch. Ach, vielleicht eine Frage noch. Es gab Zeiten, da reagierten die Börsen auf Kriege mit massiven Kursverlusten. Warum funktioniert der Mechanismus dieses Mal nicht?

Bortenlänger: Darauf habe ich auch keine wirkliche Antwort. Aber wir haben jetzt viel über den Klimawandel gesprochen. Und ich will Ihrer These nicht so richtig folgen, dass Wandel schlecht ist. Was mir aber wirklich Sorge macht, ist die geopolitische Lage. Denn anders als beim Wandel, scheint für die derzeitigen Konflikte keine wirkliche Lösung in Sicht. Das stimmt mich bedenklich.