Sind Wirtschaftswachstum und ökologische Nachhaltigkeit vereinbar?

Clemens Fuest ist Präsident des renommierten Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München. In diesem Momente-Gastbeitrag hat der Top-Ökonom eine klare These: Verzicht und eine schrumpfende Wirtschaft können nicht die Lösung sein, um den Klimawandel zu stoppen.

Ist Wirtschaftswachstum auf Dauer mit einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung vereinbar? Das ist eine der am meisten diskutierten Fragen unserer Zeit. In den letzten Jahrzehnten hat das durch wirtschaftliche Öffnung und Globalisierung getriebene Wachstum Milliarden von Menschen Wohlstand beschert und die weltweite Armut reduziert. Diese erfreuliche Entwicklung ging aber mit hoher Belastung der Umwelt und einer Erosion der natürlichen Lebensgrundlagen einher. Wirtschaftswachstum auf Kosten der Umwelt stößt an Grenzen. Auf Dauer wird wirtschaftlicher Wohlstand nur möglich sein, wenn er mit ökologischer Nachhaltigkeit verbunden wird.

Die Erosion unserer natürlichen Lebensgrundlagen

Im Zentrum der Debatte über ökologische Nachhaltigkeit steht die Klimaerwärmung. Trotz aller Appelle für mehr Klimaschutz steigen die weltweiten Treibhausgasemissionen jedes Jahr weiter an. Seit dem Jahr 2000 haben sie um etwa ein Drittel zugenommen, und ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht. 

Nicht minder dramatisch ist der weltweite Rückgang an Biodiversität. Von allen Säugetieren weltweit zuzüglich der Menschen entfallen 96 % auf Menschen und Zuchttiere zur Nahrungsmittelproduktion wie Kühe oder Schweine. Wild lebende Tiere machen lediglich 4 % der Population aus. Die Zahl der Insekten und der Vögel sinkt seit Jahren.

Prof. Dr. Dr. h. c. Clemens Fuest, 
ifo-Institut für Wirtschaftsforschung
Prof. Dr. Dr. h. c. Clemens Fuest,
ifo-Institut für Wirtschaftsforschung

Eine wichtige Rolle sowohl bei der Klimaerwärmung als auch beim Verfall der Artenvielfalt spielt die Entwaldung. Gravierend ist dabei die Zerstörung der tropischen Regenwälder insbesondere im Amazonasbecken. Diese Wälder beherbergen einen großen Teil der weltweit lebenden Tier- und Pflanzenarten. Sie haben überragende Bedeutung für die Eindämmung der Klimaerwärmung. Die fortschreitende Umweltzerstörung ist aus vielen Gründen problematisch, aber sie ist auf Dauer auch aus rein wirtschaftlicher Perspektive höchst schädlich.

Der britische Ökonom Partha Dasgupta betont, dass man eine intakte Umwelt als ein Kapital betrachten kann, das ähnlich wie menschlich geschaffenes Kapital in Form von Maschinen oder Häusern wertvolle Leistungen erstellt. Das am häufigsten zitierte Beispiel ist die Blütenbestäubung durch Bienen. Die Nahrungsproduktion durch Fischerei und Landwirtschaft, die Gewinnung von Grundwasser, die Absorption von CO2, die Bereitstellung von Erholungsgebieten für Menschen sowie nicht zuletzt der Schutz vor Epidemien und anderen Gesundheitsrisiken sind weitere unverzichtbare Leistungen dieses Naturkapitals.

Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Entwicklung zusammen denken

Eine nachhaltige Entwicklung erfordert aus dieser Perspektive, dass das Naturkapital nicht dauerhaft schrumpft, sondern zumindest erhalten bleibt. Um das zu erreichen, darf der ökologische Fußabdruck, also der Verbrauch an Naturkapital, die natürliche Regenerationsfähigkeit dieses Kapitals nicht überschreiten. Nach Schätzungen des Global-Footprint-Netzwerks liegt der globale ökologische Fußabdruck derzeit bei 1,7, also bei 170 % dessen, was mit einer Erhaltung des Naturkapitals vereinbar wäre. Diese Schätzungen sind methodisch schwierig und die Ergebnisse umstritten. Sie überschätzen das Problem – sie könnten es aber auch unterschätzen.

Nehmen wir an, der Wert von 1,7 wäre zutreffend. Welche Veränderungen wären erforderlich, um zu einer nachhaltigen Entwicklung zu kommen?

Bei gegebenem Bruttoinlandsprodukt müsste sich die Effizienz unseres Wirtschaftens in Bezug auf den Verbrauch natürlicher Ressourcen pro Einheit Bruttoinlandsprodukt massiv verbessern: Wir dürften nur zwei Drittel dessen verbrauchen, was wir heute beanspruchen. Das gilt weltweit. Diese Effizienzsteigerung braucht allerdings Zeit. Währenddessen wächst die Wirtschaft weiter, und das Naturkapital schrumpft zumindest anfänglich noch. Deshalb sind die für Nachhaltigkeit erforderlichen Verbesserungen in Form reduzierten Verbrauchs natürlicher Ressourcen noch deutlich größer.

Wie wir Verbrauch des Naturkapitals und Wachstum in Einklang bringen

Wie ist eine solche Veränderung erreichbar? Dazu gehört erstens eine überzeugende Messung des Naturkapitals und entsprechende Kommunikation. Zweitens werden technische Innovationen benötigt, um den Verbrauch von Naturkapital durch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen zu senken. Drittens sind Fortschritte und Innovationen in der Organisation wirtschaftlicher und sozialer Prozesse wichtig. Dazu gehören eine bessere Überwachung und Durchsetzung von Umweltschutzregeln sowie intelligente Umweltschutzpolitik, die unnötige Kostenbelastungen vermeidet, beispielsweise handelbare Zertifikate für Treibhausgasemissionen.

Neben Innovationen sind viertens direkte Investitionen in Naturkapital erforderlich, beispielsweise Aufforstung und der Ausweis von Naturschutzgebieten. Von überragender Bedeutung ist der Schutz der noch vorhandenen tropischen Regenwälder.

All dies zu erreichen ist auch deshalb schwierig, da Entscheidungen über Umweltschutz primär von nationalen Regierungen gefällt werden. Diese sind nur eingeschränkt bereit, Kosten für Umweltschutz auf sich zu nehmen, wenn der Nutzen daraus weltweit anfällt. Hochentwickelte Länder wie Deutschland können aber trotzdem einen Beitrag leisten, indem sie Technik entwickeln, die auch unabhängig von der Umweltschutzwirkung attraktiv ist.

Verzicht auf Wachstum ist keine Lösung

Ein anderer, weniger erfolgversprechender Ansatz zur Senkung des ökologischen Fußabdrucks wäre die Senkung des weltweiten Bruttoinlandsprodukts oder zumindest ein Verzicht auf weiteres Wachstum. Das ist der Weg, der von der sogenannten Degrowth-Bewegung favorisiert wird. Diese Forderung wirft erhebliche Probleme auf.

Wirtschaftswachstum ist das Ergebnis freiheitlicher Entfaltung von Milliarden von Menschen. Gerade Einwohner von Entwicklungs- und Schwellenländern werden nicht darauf verzichten, zu mehr Wohlstand zu kommen. Es ist auch moralisch fragwürdig, das zu verlangen.

Selbst in Hocheinkommensländern wie Deutschland wird eine Politik der Schrumpfung kaum politische Unterstützung finden. Hinzu kommt, dass die Bereitschaft, Ressourcen für Umweltschutz einzusetzen, tendenziell sinkt, wenn materieller Wohlstand zurückgeht. Wenn Menschen durch Bewusstseinswandel oder Erziehung freiwillig auf Konsum verzichten, der die Umwelt belastet, ist das etwas anderes. Derartige Verhaltensänderungen sind bislang aber die Ausnahme. Deshalb ist eine Ausrichtung des technischen und sozialen Fortschritts auf Umweltschutz, kombiniert mit Investitionen in Regeneration und Erhaltung des Naturkapitals, der vielversprechendere Weg zu Nachhaltigkeit.