Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Der Star-Ökonom stellt sich im Momente-Gastbeitrag die Frage: Klima- und Umweltschutz schädigen Wohlstand und Wachstum – davon sind viele Menschen überzeugt. Stimmt diese These?
Die traditionelle Volkswirtschaftslehre sieht das Wachstum durch Klimaschutz bedroht. Doch diese Sicht ignoriert die langfristigen Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten, meint Marcel Fratzscher.
Klima- und Umweltschutz schädigen Wohlstand und Wachstum – davon sind viele, auch in der Ökonomie, überzeugt. Aber stimmt diese These? Sie stimmt nur dann, wenn Wohlstand nach über Jahrzehnte etablierter Logik bemessen wird. Diese Logik übersieht die Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten auf Klima, Umwelt und sozialen Zusammenhalt. Deren Schutz ist den meisten Menschen nicht nur wichtig, sondern auch die Grundvoraussetzung dafür, dass sie zukünftig zur Wertschöpfung beitragen können. Daher ist es überfällig, dass wir unser bisheriges Verständnis von Wohlstand überdenken. Gelingt uns dies nicht, drohen dramatische wirtschaftliche Konsequenzen, auch in Deutschland. Dass Menschen in Deutschland in den kommenden zehn Jahren bei manch einer Gewohnheit kürzertreten müssen, da diese teurer oder weniger leicht verfügbar sein werden, wird oftmals als Wohlstandsverlust wahrgenommen. Das liegt daran, dass deren Effekte auf Mensch und Umwelt in der etablierten ökonomischen Denkweise unzureichend erfasst sind.
Beispiele dafür gibt es viele. Das Verbrenner-Aus wird von vielen beweint, aber es senkt die Emissionen im Verkehrssektor und reduziert das Risiko von Atemwegserkrankungen. Bei der Agrarwende denken viele zuerst an einen höheren Fleischpreis und nicht an eine gesündere Ernährung, mehr Tierwohl und einen nachhaltigeren Lebensraum. Die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft wird begünstigt, wenn transparent ist, wie sich unser und das Handeln von Unternehmen auf die Umwelt auswirkt.
Menschen mit geringen Einkommen und Chancen sind am stärksten vom Klimawandel betroffen
Es ist der menschengemachte Klimawandel – und nicht Maßnahmen zum Klimaschutz –, der alle Menschen, fast ohne Ausnahme, zu mehr Verzicht zwingen wird, wenn die Lebensgrundlage sich stark verändert und weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. Die lang anhaltenden Dürreperioden in Frankreich und Spanien bieten einen Vorgeschmack, was die Menschen in Europa erwartet. Die Problematik verschärft sich dadurch, dass vor allem Menschen mit geringen Einkommen und Chancen am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Sie sind häufiger direkt durch die Zerstörung von Land und Natur betroffen, haben weniger Anpassungsmöglichkeiten und laufen Gefahr, ihre Arbeit zu verlieren und in ihren Freiheiten beschränkt zu werden. 70 Prozent der Kosten des Klimawandels werden von der ärmsten Hälfte der Menschen getragen.
Klimaschutzmaßnahmen bremsen Wachstum und wirtschaftliche Dynamik nicht aus
Auch das Argument, Klimaschutzmaßnahmen in den Sektoren Verkehr, Energie oder Wärme bremsten Wachstum und wirtschaftliche Dynamik, da sie lediglich darin bestünden, einen alten Kapitalstock durch einen neuen (und häufig weniger effizienten) zu ersetzen, hat Schwächen. Tatsächlich sind E-Autos und Wärmepumpen technisch effizienter als ihre mit fossilen Brennstoffen betriebene Konkurrenz und sorgen zudem für Emissionsminderungen und die Senkung von Gesundheitsrisiken.
Ebenso übersieht das Argument die möglichen Kosten des Nichthandelns. Man betrachte nur die Naturkatastrophe im Ahrtal, die riesige finanzielle Kosten verursacht, da ein kompletter Kapitalstock ersetzt werden muss.
In Bezug auf die Kosten und Chancen des Klimaschutzes ist Optimismus angebracht. Wirtschaft und Gesellschaft – in Deutschland wie auch global – wissen, was zu tun ist, verfügen über Technologien für eine erfolgreiche Transformation und haben den Nutzen des erforderlichen Handelns eindrucksvoll nachgewiesen. Deutschland ist weltweit mit führend bei grünen Technologien – die deutsche Wirtschaft konnte ihren Weltmarktanteil in den vergangenen Jahren sogar auf zwölf Prozent ausbauen, was höher ist als in den meisten anderen Branchen.