Dirk Hinkel ist seit 2002 Chef der HassiaGruppe. Der schonende Umgang mit natürlichen Ressourcen hat im Familienunternehmen schon immer Tradition. Vor zehn Jahren begann die intensive Arbeit rund um das Thema „Nachhaltig wirtschaften“ – und das auf allen Ebenen! Warum, erklärt Dirk Hinkel im Gespräch mit Momente.
Dirk Hinkel verspätet sich ein paar Minuten. Er wurde gerade noch durch ein Telefonat aufgehalten. In der Zwischenzeit springt sein Vater ein, sein Vorgänger an der Spitze des Unternehmens, der Grandseigneur des Mineralwassers. Günter Hinkel war die vierte Generation im Hause Hassia und gab die Verantwortung vor rund 20 Jahren an seinen Sohn Dirk ab. Er sei noch jeden Tag im Unternehmen, erzählt der Senior. Aber nicht zur Kontrolle, sondern er manage das soziale Engagement sowie weitere Projekte des Familienunternehmens. Die Tür geht auf, Dirk Hinkel kommt in den Raum. Es kann los gehen…
Momente: Lieber Herr Hinkel, Sie haben bereits vor zehn Jahren, nämlich 2013, begonnen, Ihr Unternehmen auf nachhaltiges Wirtschaften umzustellen. Da waren die Themen Klimawandel und Klimawandelbekämpfung noch nicht so im öffentlichen Diskurs wie heute. Welcher Wahnsinn hat Sie damals geritten?
Dirk Hinkel: In unserem Familienunternehmen dreht sich seit rund 160 Jahren alles um Mineralwasser und Erfrischungsgetränke. Da versteht sich nachhaltiges Wirtschaften von selbst. Die Weitergabe eines zukunftsfähigen Brunnenbetriebs an die nächste Generation liegt uns sozusagen in den Genen. Doch Rahmenbedingungen verändern sich. Heute bestimmen der Klimawandel, knapper werdende Ressourcen, aber auch das wachsende Interesse an verantwortungsbewusstem Konsum die Prioritäten für nachhaltiges Unternehmertum. Für uns als familiengeführtes Getränkeunternehmen hat der schonende Umgang mit natürlichen Ressourcen bei Hassia Tradition. Nachhaltigkeit ist Teil unseres Selbstverständnisses und fest in der Unternehmensvision verankert.
Momente: Das erklärt einiges, aber nicht alles. Ist Herr Hinkel ein Gutmensch?
Hinkel: Das mögen andere beurteilen. Ich bin mit Leidenschaft Unternehmer. Für uns ist wirtschaftlicher Erfolg untrennbar mit Ressourcenschutz und sozialem Verantwortungsbewusstsein verbunden. Unser Claim „Hassia handelt – heute für morgen“ bringt es auf den Punkt: Wir möchten mit Nachhaltigkeit für eine sichere Zukunft sorgen – für unser Unternehmen, für unsere Umwelt und für die Menschen in unserer Region. Seit 2013 setzen wir uns gezielt für diese Strategie ein. So werden sämtliche Betriebsbereiche der HassiaGruppe auf ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit geprüft und seit 2016 zertifiziert.
Momente: Menschen krempeln ihr Leben oft erst nach einem einschneidenden Erlebnis um. Das gilt im weiteren Sinn auch für Unternehmen. Gab es diesen einen Moment?
Hinkel: Wenn Ihr Kernprodukt die natürliche Ressource Mineralwasser ist, dann beschäftigen Sie sich von Haus aus mit nachhaltigem Wirtschaften, denn Mineralwasservorkommen sind ein wertvoller und sensibler Schatz der Natur, mit dem wir als Mineralbrunnen – staatlich streng kontrolliert – sehr sorgsam und verantwortungsbewusst umgehen. Der Schutz dieser Quellen hat oberste Priorität. In der HassiaGruppe entnehmen wir unseren Quellen nur einen Teil der genehmigten Fördermenge. Dadurch ist mehr als gewährleistet, dass der Wasserhaushalt im Gleichgewicht bleibt.
Momente: Da drängen sich gleich zwei Fragen auf. Erstens, folgt Ihre Entnahme aus den Quellen dem Urprinzip von Nachhaltigkeit? Zweitens, ist damit nicht Ihr Wachstum streng limitiert?
Hinkel: Zu erstens, ja, das kann man so verstehen. Und zu zweitens: Nein, denn in der HassiaGruppe bieten wir ein breites Sortiment von hochwertigen alkoholfreien Erfrischungsgetränken (AfG) an. Neben den beliebten regionalen Mineralwasser-Marken sind das auch attraktive Produkte der Marken Bionade oder Vita Cola.
Momente: Jetzt sind Sie Unternehmer in der fünften Generation. Und erfolgreich zudem. Nach Coca-Cola und Red Bull sind Sie die Nummer drei im Markt. Wie passen nachhaltiges Wirtschaften und Umsatzwachstum zusammen?
Hinkel: Als verantwortungsvoller und multiregionaler Hersteller wollen wir in allen AfG-Segmenten verbraucherrelevante Angebote machen und mit unseren hochwertigen Markenprodukten überzeugen. Attraktive Getränkekonzepte, der Ausbau unseres Mehrwegangebots und kurze Transportwegen untermauern unseren nachhaltigen, ehrlichen Auftritt und haben in der Vergangenheit regelmäßig auch zu Umsatzwachstum geführt.
Momente: Können wir ein wenig konkreter werden, was genau Sie machen und was daran anders ist als früher?
Hinkel: Vielleicht noch einen grundsätzlichen Satz vorneweg. Unser Modell steht auf drei Säulen. Der Ökonomie – also profitabel wachsen. Der Ökologie – nachhaltig wirtschaften. Und dem Sozialen – wir wollen ein Good Corporate Citizen sein. Alle drei Säulen müssen in etwa gleich stark sein, sonst bekommt das Dach – unsere Hassia-Gruppe – eine bedenkliche Schieflage.
Momente: Aber jetzt?
Hinkel: Das ist wichtig, sonst versteht man die Strategie nicht. Wir haben auf dem gerade erklärten Grundsatz eine Matrix erstellt. Die eine Achse – was ist für uns als Unternehmen wichtig? Auf der anderen: Was ist für unsere Anspruchsgruppen wichtig? Daraus haben sich für uns 14 Themenfelder ergeben, die wir seitdem im Fokus haben. Diese Wesentlichkeitsmatrix beinhaltet zum Beispiel die Qualität und Gesundheit unserer Produkte, den Quellschutz, Verpackungsthemen, regionale Produkte aus der Region für die Region, Klimaschutz, verantwortungsvolle Beschaffung und einige Punkte mehr.
Momente: Konkret bedeutet das?
Hinkel: Vermeiden. Verringern. Kompensieren. Wir waren einer der ersten Getränkehersteller in Deutschland, der komplett auf Ökostrom – Wasserkraft Made in Germany – umgestellt hat. Damit haben wir unseren CO2-Footprint zum Beispiel hier in Bad Vilbel um 55 Prozent senken können. Wir haben Gebäude nach höchsten Standards wärmegedämmt sowie in modernste Mehrweg-Glasabfüllanlagen investiert, die uns dabei helfen, 25 Prozent Strom und 20 Prozent Wasser einzusparen. 95 Prozent unserer Artikel am Standort Bad Vilbel verkaufen wir in Mehrwegflaschen. Die Recyclingquote unserer Reststoffe liegt bei 97 Prozent, in unseren Lagerhallen fahren ausschließlich E-Stapler und unsere LKW auf den Straßen erfüllen die höchsten Abgasnormen. Und wir haben seit 2008 weltweit 1,3 Millionen Bäume auf 961 Hektar gepflanzt. So konnten bisher insgesamt 301.140 Tonnen CO2 eingebunden werden. 513.570 der gepflanzten Bäume wachsen übrigens in deutschen Wäldern.
Momente: War das ein anstrengender Prozess, das Unternehmen so auf den Kopf zu stellen?
Hinkel: Eigentlich nicht. Da haben wir alle an einem Strang gezogen. In den vergangenen Jahren ist es allerdings komplizierter geworden, da der Gesetzgeber zusätzliche Hürden setzt.
Momente: Was ist eigentlich klimaschonender, die PET-Flasche oder die Glasflasche?
Hinkel: Eine nur scheinbar einfache Frage. Wichtig ist zunächst einmal, beides müssen Mehrwegflaschen sein. Die Glasflasche kann bis zu 50-mal wieder befüllt werden, die PET-Flasche rund 25-mal. Dafür ist Glas aber deutlich schwerer als PET. Das bedeutet, der Transport muss in die Klimabilanz einbezogen werden. Insgesamt hat daher PET-Mehrweg die Nase vorn. Bei einem weiten Transportweg wird auch Einweg aus Klimasicht wettbewerbsfähig. Aber: Kein Mineralwasser muss 1.000 Kilometer reisen. Wir haben tolles Mineralwasser in Deutschland.
Momente: Können Sie verraten, was das alles gekostet hat?
Hinkel: Uns war von Anfang an bewusst, Nachhaltigkeit ist eine Politik der kleinen Schritte und ein bisschen nachhaltig geht nicht. Lassen Sie mich nur so viel verraten: Es war über die Jahre hinweg ein nicht unerheblicher Aufwand.
Momente: Dann fragen wir anders. Haben sich die Investitionen gelohnt?
Hinkel: Wir sind in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen und sind der führende deutsche Markenanbieter für alkoholfreie Getränke. Beim Mineralwasser sind wir hinter Gerolsteiner die Nummer 2 in Deutschland. Ob uns das auch ohne unsere Nachhaltigkeitsstrategie gelungen wäre, dafür fehlt mir der Gegenbeweis.
Momente: Spüren Sie auch den Druck des Marktes?
Hinkel: Selbstverständlich. Wir unterscheiden zwischen unseren Absatzmittlern auf der einen Seite – das sind Kunden im Handel und der Gastronomie. Da ist der Wettbewerb schon sehr groß – die Kunden geben den Druck an uns weiter. Und unseren Konsumenten auf der anderen Seite. Das sind die Endverbraucher, die unsere Getränke in der Gaststätte bestellen oder im Handel erwerben. Es ist unser Job, den Endverbraucher jeden Tag mit einem attraktiven Angebot zu überzeugen.
Momente: Sie erwähnten vorhin, dass der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren zunehmend die Zügel angezogen hat. Wenn man die Ankündigungen ernst nimmt, ist das erst der Anfang?
Hinkel: Das wird so kommen. Als nächstes steht ja schon ein strengeres Nachhaltigkeitsberichtswesen ins Haus. Das basiert auf der Corporate Sustainibility Reporting Directive (CSRD) aus Brüssel, die wesentlich umfassendere und detailliertere Berichte fordert. Nur mal als Beispiel, was das für uns bedeutet: 12 Berichtsstandards, 84 Offenlegungsanforderungen und 1.144 Datenpunkte. Das ist eine immense Herausforderung. Noch ein Beispiel? Das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz. Wir haben in der Gruppe ca. 3.500 Lieferanten. Die müssen wir jetzt alle monitoren, ob sie ihrer Sorgfalt Genüge tun.
Momente: Und was sind Ihre nächsten Schritte oder Projekte?
Hinkel: Wir lassen bei dem Thema Nachhaltigkeit nicht locker. Neulich hatten wir erste sehr gute Gespräche mit der NGO „Cradle to Cradle“ aus Berlin zum idealen Produktionsprozess, einer erweiterten Kreislaufwirtschaft, bei der nichts mehr verloren geht.
In naher Zukunft wollen wir uns, nachdem wir seit vielen Jahren „Grünen Strom“ einsetzen, hauptsächlich auf die Themen „Grüne Wärme“ und „Grüne Mobilität“ konzentrieren. Und wenn wir in die weitere Zukunft sehen, wird das Thema Biodiversität einen großen Raum einnehmen. Mit der Marke BIONADE sind wir hier schon heute Vorreiter in unserer Branche. Wir sehen das Thema „Nachhaltig wirtschaften“ für uns als riesige Chance, uns weiterzuentwickeln, innovativ zu sein, neue Methoden auszuprobieren und mit jungen Unternehmen und ihren Ideen in den Dialog zu treten. Und – das ist uns auch sehr wichtig – wir haben viel Freude daran.
Momente: Herr Hinkel, danke für das interessante Gespräch.