Die Vermessung der Akustik
„Das Feedback der Industrie war mega“: Holometrix-Gründer Alexander Pfaff
Seine schönsten Momente erlebt Alexander Pfaff weder in der Wirklichkeit noch in seinen kühnsten Träumen. Seine schönsten Momente sind „augmented real“, was so viel heißt wie „erweitert real“. Klingt ein bisschen nach Bewusstseinserweiterung, und auf die Frage, ob man sich diese „augmented reality“ wie einen gepflegten Rotweinrausch vorstellen kann, antwortet er: „Kein Vergleich! Augmented Reality ist viel cooler.“
Pfaff – flinke Augen, buschige Brauen, Typ: eigentlich immer gut gelaunt – legt ein schwarzes Teil auf den Tisch, das ein bisschen wie eine Drohne aussieht. Allerdings lässt er das Ding nicht in der Luft fliegen, sondern setzt es sich auf den dunkelbraunen Wuschel-Kopf.
Und dann geht‘s los: Pfaff stellt sich hin und fängt an, mit seinen Fingern in der Luft herum zu tippen. Er kreist mit der linken Hand mehrmals nach links, greift mit allen Fingern ins Nirwana, setzt mit dem rechten Zeigefinger einen Klick ins Nirgendwo, und sagt dann: „So, jetzt sind wir gleich startklar.“
Wenn man das Ganze beobachtet, fühlt man sich in eine Szene des Science-Fiction-Klassikers „Minority Report“ versetzt. Aber was da passiert, ist kein Film. Es ist nicht einmal die Zukunft, sondern die ganz reale Gegenwart in Erzhausen, Sitz der Firma HoloMetrix, keine 20 Kilometer südlich von Frankfurt.
„Zieh Du mal auf“, sagt Alexander Pfaff.
Also, rauf auf den Kopf. Was sieht man also, wenn man diese ziemlich große, aber erstaunlich leichte Brille vor den Augen hat? Vom Grundprinzip kann man sich das ganze wie ein Head-up-Display im Auto vorstellen. Man erblickt vor sich in der weiterhin realen Umgebung (das ist der Unterschied zur „virtual reality“, in der alles künstlich ist) digitale Elemente wie beispielsweise einen aus mehreren losen Quadern zusammengesetzten Versuchsaufbau, der wie eine Halbkugel aussieht. Im Gegensatz zur Tempoanzeige in der Windschutzscheibe kann man diese Halbkugel mit den eigenen Händen beliebig verschieben, in seiner Größe verändern, umkreisen, von allen Seiten inspizieren oder einfach durchlaufen.
„In nicht allzu ferner Zukunft“, sagt Pfaff, „werden wir mit solchen Brillen durch die Straßen navigiert, diktieren Emails, machen Anrufe – und erhalten Werbung über ein attraktives Sonderangebot im Geschäft, an dem wir gleich vorbeigehen werden.“
So weit, so spooky.
Alexander Pfaff nutzt die Technik allerdings für etwas ganz anderes, und das kam so:
Der 32-Jährige Vater einer kleinen Tochter hat sich bereits während seines Maschinenbau-Studiums an der Frankfurt University intensiv mit Schwingungen und Akustik beschäftigt. Dort lernte er Christopher Morschel (29) kennen, dem im letzten Drittel seines mit Bestnote abgeschlossenen Studiums der „Material- und Produktentwicklung“ offenbar so langweilig war, dass er sich nebenbei selbst das Programmieren beibrachte.
Aus der Akustik-Forschung als wissenschaftlicher Mitarbeiter und einer Reihe von Studien-Jobs etwa bei Daimler oder Continental wusste Pfaff, wie aufwändig für Techniker das Messen von Lärm und Schall ist. „Wenn Du die Lautstärke eines Kühlschranks messen willst, bist Du entweder Stunden mit dem Aufbau der Mikrofone rund um das Gerät beschäftigt oder musst extra einen extrem teuren Roboter mitnehmen“, erklärt Pfaff. „Die Mikros müssen nämlich qua gesetzlicher Norm rund um das Gerät in ganz bestimmten Abständen angebracht werden. Die Messung selbst geht dann ruckizucki.“ Alex und sein Kumpel Christopher kamen nun auf die Idee, dass man die Fixpunkte für die Mikrofone rund um den Kühlschrank doch einfach digital abbilden kann.
Gemeinsam machen sie sich also an die Arbeit. Alex, der Akustiker, weiß, wie man Schall misst. Christoph weiß, wie man programmiert. Aus dieser Kombination entsteht eine Software namens SoundHUB, die auf die Augmented-Reality-Brille gespielt wird und die nötigen Fixpunkte der Mikrofone rund um jedes beliebige Objekt dreidimensional exakt anzeigt.
Egal ob Kühlschrank, Auto, Kraftwerk, Zentrifugaldüsen, Staubsauger, Pumpe, Waschmaschine, Dunstabzugshaube, Rasenmäher oder Raupenbagger – mit der Brille auf dem Kopf kann der Techniker sofort mit der Schallmessung loslegen. Pfaff: „Und das Ganze verschlingt am Ende nur einen Bruchteil der bisherigen Kosten. Vor allem aber spart es Zeit und Nerven.“
Auf einer Messe der Deutschen Akustik Gesellschaft stellen sie ihre Innovation 2018 zum ersten Mal vor. „Das Feedback der Industrie-Vertreter dort war mega“, sagt Pfaff. „Das war für uns dann der letzte Push, um die HoloMetrix zu gründen.“
Mittlerweile haben Alex und Chris mit Elisabeth Kunz eine BWLerin und Marketing-Expertin in die Geschäftsführung geholt und über mehrere Stipendien und einen KfW-Kredit über die Frankfurter Volksbank Rhein/Main Anschubfinanzierung bekommen. Im September startet der Launch eines Produkts, das HoloMetrix mit einem weltweit tätigen Messtechnik-Unternehmen entwickelt hat.
„Das vierte Quartal und das Jahr 2023 werden entscheidend sein“, so Pfaff. „Da finden endlich wieder eine ganze Reihe von Industriemessen statt, auf denen wir unsere Innovation vorstellen. Das war während der Corona-Zeit nicht wirklich möglich.“
Und was ist seine Zukunftsvision?
„Jetzt wollen wir uns erstmal einen Namen in der Akustik-Branche verschaffen. Aber wir überlegen schon, wie wir die Software skalieren können, zum Beispiel auch auf die Messung anderer physikalischer Größen. Da ist viel denkbar.“
Zunächst arbeitet er daran, dass insbesondere Automobilhersteller oder auch TÜV-Gesellschaften den Wert seiner Innovation erkennen. Derzeit stellt er die Augmented-Reality-Brille in ganz Deutschland bei potenziellen Kunden vor. „Für uns ist es nicht ganz einfach, dort an die richtigen Leute zu kommen – uns kennt halt noch kein Schwein.“
Das dürfte sich bald ändern. Nicht nur in der Augmented Reality.