Die Studentin des Lebens

Die Studentin des Lebens

„Irgendwie sind wir Umzugsunternehmer auch Psychotherapeuten.“ Susanne von Verschuer verantwortet über 14 LKW und 90 Kollegen.

Mit einem Mal fliegt die Tür auf. „Los geht’s.“ „Ich bin heute eigentlich gar nicht in Laune, mich großartig zu unterhalten.“ „Kaffee oder Wasser?“ „Heute ist wieder so ein Tag.“ 

Es hat gerade mal eine Minute gedauert. Die wichtigsten Dinge sind für Susanne von Verschuer geklärt. „Was wollen Sie wissen?“

Es ist heiß an diesem Mittwochmorgen in Hattersheim – keine halbe Stunde westlich von Frankfurt gelegen. Susanne von Verschuer ist Chefin von gleich zwei Unternehmen, die Firma Fermont mit Sitz hier in Hattersheim und die Wilhelm Pauly in Bad Homburg – beide mit dem gleichen Geschäftszweck: Logistik. Und sowohl die Bad Homburger als auch die Hattersheimer arbeiten unter dem Dach der Aero Express GmbH, deren Chefin sie ist. „Ich studiere jeden Tag aufs Neue das Leben und die Menschen.“  Da lächelt sie. Blaues Polo. Die blonden Haare zum Zopf gebunden, und auch ansonsten unprätentiös. Kein Gedöns, immer gerade aus. Ihr Firmenwagen ein alter Audi Diesel.

In der Branche lautet ein geflügeltes Wort: Wir schauen unseren Kunden bis ins Schlafzimmer

14 LKWs, gut 90 Mitarbeiter machen rund sechs Millionen Umsatz im Jahr. Sie und ihre Leute transportieren das Leben der Menschen von A nach B. „Und da erleben Sie Dinge, die will man gar nicht wissen“, sagt sie. Doch, will man, sagen wir. 

Da gab es also den Kunden, der von London nach Zürich zog. Eigentlich Routine. Fotos von den einzelnen Zimmern wurden gemacht. Vitrinen und Regale geknipst, damit – laut Kundenwunsch – jedes Buch, jedes Glas, jeder Nippes wieder den gleichen Ort in der neuen Umgebung findet. Männer schleppten. LKWs fuhren. Männer schleppten erneut. Alles stand wieder an seinem Platz. Die Bilder von den Lieben, die Blumenvasen, die Gläsersammlung. Da klingelte bei der Chefin in Hattersheim das Telefon. Alles solle nun doch an den Genfer See…

„Menschen“, räsoniert sie, während sie sich ein neues Glas Wasser füllt, „haben manchmal etwas Spezielles.“ Und sie als Umzugsunternehmerin bekomme durch ihr Geschäft einen oft ungewollt tiefen Einblick in die Privatsphäre. „In der Branche heißt ein geflügeltes Wort: Wir schauen unseren Kunden bis ins Schlafzimmer…“

Und immer sind große Emotionen im Spiel. „Unser Geschäftsmodell ist Veränderung.“ Menschen würden das Vertraute verlassen, sich auf etwas Neues einlassen. Wohnen sei dann eben doch auch immer die Burg, die man sich geschaffen hat. Und Wohnen habe wohl den höchsten Stellenwert im Leben der Menschen. 

Der Umzug von Kassel nach London? Klasse Sache. Der beruflich bedingte Wechsel von Frankfurt nach New York? Sensationell. „Paris, Zürich, Singapur, wenn unsere Container diese Destinationen ansteuern, werden sie meist von Euphorie, Spannung und Lust auf das Neue begleitet.“

Aber es gibt eben auch die Schattenseite des Umzugs. Scheidung, Tod eines Angehörigen, der Rauswurf aus dem Unternehmen und der damit verbundene Umzug ins Ungewisse. „Wenn wir dann anrücken, schwingt immer das Gescheitertsein mit.“ Manchmal muss mit dem LKW auch gleich die Polizei mit anrücken. „Wenn der Rosenkrieg Geschirr und Lampen erfasst hat, geht es nicht ohne Sicherheitskräfte.“ Nicht einfach.

Susanne von Verschuer hat bei Dachser in München gelernt. Früh spezialisierte sie sich in ihrer Ausbildung zur Speditionskauffrau – auf Spezialtransporte für Möbel und Kunst. War in Singapur, auch in New York. Transportiert werden Kunstwerke für das Museum of Modern Art in Manhattan und durch die Welt. „Die Firma gibt es noch“, sagt sie. Irgendwann aber hat das Familien-Unternehmen gerufen und sie folgte der Verantwortung. Seit 12 Jahren ist sie nun Chefin in dritter Generation. Kommendes Jahr feiern beide Unternehmen Geburtstag. Wilhelm Pauly wird 150, Fermont 130 Jahre alt. „Da machen wir was Schönes.“ 

Auf den LKWs prangt in großen Buchstaben das Motto der Firma Fermont. „Wir packen’s“ steht da zu lesen. Scheinbar ein bisschen auch das Lebensmotto von Susanne von Verschuer. „Irgendwie sind wir Umzugsunternehmer auch Psychotherapeuten.“ Tränen. Geschrei, Bitterkeit auf der einen Seite. Hochgefühl, Euphorie auf der anderen. Manchmal trifft sie ihre Kunden zwei Mal im Leben. Erst mit letzterer Gefühlswelt, dann ersterer. „Es ist ein toller Job“, sagt sie. Aber man müsse schon auch eine gewisse Portion Helfersyndrom in den Adern haben. Es gehe bei dem was sie macht, meist auch um die Betreuung von Menschen.

So wie neulich. Ein Unternehmen zog um. In eine neue Firmenzentrale. Schick, edel war der neue Standort. Schick und edel sollte auch das Interieur sein. „Acht Meter lange Eichentische aus einem Stück mussten in die Stockwerke 8, 9 und 10.“ Morgens gegen 11.00 Uhr klingelte ihr Telefon. Der Tour-Chef war dran. „Wir kriegen die Tische nicht nach oben. Da hat keiner mitgedacht. Entweder wir lassen die Fassade öffnen und es kommt ein Kran oder die Platten müssen geteilt werden.“

Fingerspitzengefühl war nötig, eine Mischung aus Mediation und Meditation. Susanne von Verschuer war gefragt. Sie setzte sich ins Auto und musste eine Situation retten, in der ihr Anteil nun mal der Geringste war. Geschäftsführung, Facility-Manager, Immobilieneigentümer, die eigenen Leute. „Alle am Limit“, war ihr klar als sie über die Autobahn Richtung Krisensituation rollte.  Am Ende haben wir die Fassade aufmachen lassen. „Das war die beste Lösung.“