Der Strommann

Stefan Ehinger leitet die Firma Ehinger in jetzt vierter Generation. Das 1906 gegründete Familienunternehmen ist eine Ikone besten deutschen Mittelstandes. Und hat ihren Familien- und Firmensitz im Herzen von Frankfurt.

Der Eintracht-Adler prangt oben im ersten Stock am Balkon. Das Glaubensbekenntnis an die Fußballer der Eintracht Frankfurt ist fast größer als das geprägte Namensschild der Firma: Ehinger, eine Frankfurter Ikone deutschen Mittelstands, in vierter Generation in Familienbesitz. Ehinger steht in Frankfurt für Elektrotechnik. Es sind die kleinen gelben Transporter.  

Drinnen ist es bescheiden. Ein kleines Besprechungszimmer. Am Telefon sind Kunden. Aufträge kommen rein. Termine werden gemacht. Ehinger firmiert in der Leerbach Straße, mitten im Frankfurt. Bestes Westend, nur einen Steinwurf bis zur Alten Oper. 

Stefan Ehinger (44) kommt gerade aus dem Gebiet Vogelsberg von einer Vorstandssitzung des BZL Lauterbach, einer Bildungsstätte des Elektrohandwerks. Er zieht sich einen Kaffee aus der Nespresso-Maschine. Hinter ihm ein Plakat der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung 1891 in Frankfurt. Über dem Sideboard mit der Kaffeemaschine ein Plakat der Eintracht.

„Derzeit macht Fan-Sein viel Spaß“, erzählt er. „Ich kann mich noch an Spielzeiten erinnern, wo ich mit ein paar Tausend anderen Unverbesserlichen Freitagsabends bei Nieselregen im Stadion saß und ein müdes 0:0 gegen Wattenscheid 09 gesehen habe. Das ist lange her.“ Wenn möglich, sitzt er bei jedem Heimspiel im Stadion. „Die 90 Minuten gönne ich mir. Das sind meine 90 Minuten.“ Manchmal begleitet er die Fußballer auch zu Auswärtsspielen, „wenn es die Zeit erlaubt.“

 Das Fan-Gen hat er genauso geerbt wie die Firma Ehinger. Sein Vater hat seinerzeit – 1999 war das – die Eintracht Frankfurt Fußball AG mitgegründet, saß viele Jahre im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft und hat seinem Sohn das Eintracht-Gen vererbt. Nur selten lädt er Kunden zu den Spielen ein. „Ich will da schimpfen und mich ärgern dürfen. Den Kopf mal abschalten. Ich will das Spiel sehen und niemanden dabei bespaßen müssen.“ Eintracht-Fan zu sein, ist eine ernste Sache. Cap, Schal, Kutte? „Nein“, da lacht er, die Zeiten seien lange vorbei.

Die Firma Ehinger gibt es seit rund 120 Jahren. Gegründet 1906 nur wenige Jahre vor dem ersten Weltkrieg und vor der Weltwirtschaftskrise. Der zweite Weltkrieg schon ante portas. Harte Zeiten. Stefan Ehingers Urgroßvater sah in der Elektrifizierung die Zukunft und startete im Hinterhof des jetzigen Familien- und Firmensitzes seinen Betrieb. Aktuell tragen 120 Mitarbeiter zum Erfolg des Unternehmens bei. 12 Millionen Euro Umsatz jährlich. Zu den Kunden gehören und gehörten die Adam Opel AG („da haben wir immer für die IAA die Messestände verkabelt“), die Flugsicherung am Airport, der Zoo, der Taunusstern in Bad Homburg genauso wie die Schaltwarte im afrikanischen Sambia. Würde man es hochrechnen über all die Jahrzehnte, die Firma Ehinger hätte mittlerweile ein Stromkabel verlegt, das in etwa einmal um die Weltkugel reichen würde.

Stefan Ehinger hat nicht nur die Firma übernommen, nicht nur die Liebe zur Eintracht, sondern auch die ehrenamtlichen Jobs. Wie schon sein Vater sitzt er im Vorstand des Elektro-Fachverbandes Hessen/Rheinland-Pfalz (FEHR) und im Zentralverband der elektro- und informationstechnischen Handwerke (ZVEH), seit zwei Jahren ist er deren Präsident. Verbandsarbeit ist ihm wichtig, kurz nach der Jahrtausendwende wurde er aktiv. Auch das nimmt er ernst. „Das kostet viel meiner Zeit.“ Biete aber auch die Chance, in Berlin, in der Politik, immer wieder die Themen zu adressieren, die das Handwerk, das Elektrohandwerk und den Mittelstand bewegen. „Politiker sind dankbar, wenn ihnen mal ein echter Handwerker erzählt, was uns Probleme bereitet“, ist seine Erfahrung. Aber natürlich nehme er auch viel Positives aus der Verbandsarbeit mit in sein Unternehmen. „Das ist Win-win.“

Stefan Ehinger ist gelernter Geselle des Elektrohandwerks. „Klar kann ich auch eine Steckdose montieren“ lacht er. Sein duales Studium als Diplom-Ingenieur – Fachrichtung Informationstechnologie – verband er mit der Ausbildung daheim im eigenen Betrieb. „Das hat dazu geführt, dass ich wahrscheinlich nicht der beste Elektrohandwerker der Welt bin, aber unser Unternehmen gut kenne.“ Wenn in den Bauwagen in der Frühstückspause bei Mettbrötchen die Lage der Welt, die Lage des Handwerks oder die Lage des Unternehmens diskutiert werde, „dann ist spätestens an Tag zwei vergessen, dass da der Sohn vom Chef sitzt.“ Da bekomme man viel mit. „Das bildet.“   

Bestes Beispiel der jüngeren Vergangenheit war die Wallbox, die Ladestation für E-Pkw. „Ich hörte davon und wir haben das schnell umgesetzt.“ Damals war das noch gar kein Thema in der Öffentlichkeit. Aber Stefan Ehinger erkannte den Markt. 2011 gab es die erste Wallbox made in Germany. Made by Ehinger. Zusammen mit drei anderen Verbandskollegen gründete Ehinger im Handumdrehen – Mittelstand eben – die E-Mobility Netzwerk Deutschland GmbH. Ein Unternehmen, das bundesweit E-Ladeinfrastruktur baut und auch betreibt.

Immer auf der Höhe des Marktes – den Slogan würde er wahrscheinlich als Unternehmensphilosophie unterschreiben. „Trends erkennen und frühzeitig das Unternehmen darauf einstellen“, sagt er. Derzeit wieder: Die Zukunft, der Megatrend der kommenden Jahre, sei die Prozessdigitalisierung am Bau. Noch werde viel zu viel analog gesteuert und abgearbeitet, „weil es zu wenige Standards gibt“. Jeder Bau, ob Neubau oder Sanierung, sei ein Unikat. „Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für kosteneffizientes Arbeiten.“

Die Digitalisierung ist aber auch für ihn selbst ein erfolgskritisches Tool, um die Zukunft des Mittelstands zu sichern. Angesichts des Facharbeitermangels, angesichts des fehlenden Nachwuchses bräuchten wir die digitale Steuerung von Bauprozessen. Wie groß ist die Lücke in seiner Belegschaft? „Wie viele Leute können Sie mir schicken“, fragt er zurück und antwortet dann in seiner Funktion als Verbandspräsident. „In Deutschland fehlen 100.000 Fachkräfte. Tendenz in den kommenden Jahren stark steigend. Und das, obwohl das Elektrohandwerk bei jungen Menschen offenbar ein gutes Image hat.“ Immer mehr junge Mädchen würden die Elektrotechnik für sich entdecken. „Seit Jahren steigt die Zahl der Auszubildenden. Das ist gut.“

Azubis heißen bei Ehinger E-Zubis. Es ist ihm Ernst mit dem Thema, Ehinger hat sich entschieden. Die Firma wird die Zahl ihrer Ausbildungsplätze in den kommenden Jahren verdoppeln und konkret auch mehr junge Frauen ansprechen. Dazu sei trotz des generell steigenden Interesses der Mädchen an dem Beruf noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Einmal im Jahr besucht er eine Schule in der Region, steht dann vor den 15- bis 17-Jährigen. „Viele Mädchen in dem Alter können sich noch nicht mal vorstellen, sich den Beruf vorstellen zu können.“ Die Jungs seien da anders und wollen – na klar – SEK-Beamter werden oder in die Forschung gehen.     

Vom viel beschworenen Frust über eine wenig leistungswillige Generation Z will Ehinger nichts wissen. Neulich beim Aufräumen der Archive wurden Vorstandsprotokolle aus den 20er-Jahren des vergangenen Jahrtausends gefunden. „Top drei der Agenda“, zitiert Ehinger aus den alten Papieren: „Die Auszubildenden waren vor dem Krieg besser.“ Will sagen: Dass die nachfolgende Generation unmotivierter sei und schlechtere Zeugnisnoten habe, insgesamt also schlechter sei – das sei offensichtlich etwas, was die Unternehmen schon seit mehr als 100 Jahren bewegt. Oder andersherum. „Wie verklären auch gerne mal die Vergangenheit und finden in der Retrospektive, das früher alles super war. Ich glaube, dass wir da einem Märchen hinterherlaufen. Vollpfeifen gab es immer und Supertypen eben auch.“

Der Nachwuchs wird gebraucht, der demografische Wandel verschärft den Fachkräftemangel, ebenso wie der technologische Fortschritt. „Alles“, sagt Ehinger, „wird elektrischer, digitaler. Unser ganzes Leben.“ Deshalb würden eben nicht nur Elektrofachbetriebe Elektriker suchen. Der Bäcker, die Bank, Immobilienverwalter alle suchen Haustechniker und nehmen Elektrotechniker. Schraubenzieher und Phasenprüfer würden zunehmend durch den Laptop, durch filigrane Arbeit ersetzt. Und wenn es mal darum geht, eine Wand aufzustemmen, schweres Gerät zum Einsatz kommt, „dann wäre ich da manchmal gerne dabei. Das fehlt mir“, Ehinger schmunzelt.  Auf der Homepage von Ehinger heißt es denn auch: „Von der Hochspannung bis zur Datendose…“

Mitten im Gespräch steckt aus dem Nachbarraum plötzlich jemand den Kopf durch die Schiebetür.  Es ist der Senior, Bernd Ehinger, gerade 80 geworden, der noch immer jeden Tag für ein paar Stunden am Schreibtisch sitzt, um Briefe zu schreiben oder den einen oder anderen Kontakt zu pflegen. Für den Tag hat er alles abgearbeitet und sagt leise „Auf Wiedersehen“.

Ins operative Geschäft mischt er sich nicht ein, das hat er an den Sohn abgegeben, dass er trotzdem da ist, „sehe ich als Chance“, sagt Stefan Ehinger. Gerade am Anfang, als er die Leitung des Unternehmens übernommen hat, sei er „für jeden guten Rat dankbar“ gewesen. „Aber man muss dann auch irgendwann seinen eigenen Weg finden und das Unternehmen so führen, wie man es sich vorstellt.“ 

Die Ehingers haben ihre Zukunft im Griff. Seit Oktober 2024 ist Leon Schusta, ein Neffe von Stefan Ehinger, in die Geschäftsleitung aufgerückt. Der junge Mann – das ist der Plan – soll in die Fußstapfen von Stefan Ehinger treten – der hat zwar noch gut und gerne 20 Jahre als Chef vor sich. Aber so funktioniert das bereits seit über 100 Jahren.