Der Altmeister des Geldes

Der Altmeister des Geldes

Er ist 94 Jahre alt – und damit einer unserer versiertesten Kunden

Die erste Leitzinserhöhung der EZB seit elf Jahren ist für Claus Köhler unwesentlich. „Wir Geldmengenpolitiker“, sagt er, „schauen auf die Short Term Rates – die STRs –, wissen Sie?“ Der Mann war 16 Jahre Direktoriumsmitglied der Deutschen Bundesbank. Heute ist er 94, und hat noch immer alles fest im Blick. Zunächst mal ganz plastisch: Vom Panoramafenster mit Fernblick, 8. Stock, sieht er die Frankfurter Skyline. Die zarte Hand mit blauem Siegelring zeigt gen Südwesten, „da vorne ist die Bundesbank. Weiter hinten, der Turm, das ist die Europäische Zentralbank.“ Eine spektakuläre Aussicht, ja. Aber, er lächelt, man gewöhnt sich dran. 

Das Interieur seines Wohnzimmers sieht ein bisschen aus, wie die Sitzungssäle der altehrwürdigen Bundesbank. Nur in klein. Ein kleiner Konferenztisch aus den 80er Jahren in der Mitte des Wohnzimmers. In den Regalen jede Menge Fachliteratur, Bildbände. Ein paar Stücke aus Fernost. Beige Ledersessel. So als ob es jetzt gleich um Kredit und Währung, Geld und Geldpolitik gehen sollte. Das sind seine Lieblingsdisziplinen. Immer noch. 

Geld war sein Leben. Geld ist immer noch seine Passion. „Der Geldkreislauf – Geldtheoretische Thesen im Spiegel der Empirie“, war sein erstes Buch 1962. Viele folgten: 1968 die „Orientierungshilfen für die Kreditpolitik“. Dann gleich drei Bände zum Thema Geldwirtschaft. „Geldversorgung und Kreditpolitik“, „Zahlungsbilanz und Wechselkurs“ und dann Band III über „Wirtschaftspolitische Ziele und wirtschaftspolitische Strategie“. Alles keine Lektüre für zwischendurch. Vieles davon ist hohe Mathematik. Substanz ist ihm wichtiger als inflationäre Phrasen.

Es ist eine Lehrstunde. Der Altmeister des Geldes referiert, ohne belehrend zu sein.

Köhler liest. Nach wie vor gern und immer noch viel. Zeitungen, finanzwissenschaftliche Online-Fachforen, Studien, Analysen zur Zentralbankgeldmengensteuerung. Hin und wieder schreibt Claus Köhler kurze erkenntnisreiche Mails. Auch an Eva Wunsch-Weber, Vorstandsvorsitzende der Frankfurter Volksbank. Er ist einer der ältesten Kunden der Bank und rege. „Ick tausche mir gerne aus, wenn es eine neue Blickrichtung auf die Geldpolitik gibt“, lächelt er mit seinem zarten Berliner-Schnauze-Deutsch.

Er hat immer noch einen klaren Blick und folgt seinen ehernen Prinzipien. „Die Lücke zwischen Produktionspotenzial und realem Bruttoinlandsprodukt ist Arbeitslosigkeit“ referiert er aus dem Stand. „Sie wissen doch, was das Bruttoinlandsprodukt ist, oder?“ Um gleich hinterher zu schieben: „Die Lücke zwischen realem BIP und nominalen BIP heißt Inflation. Ergo, alle drei müssen im Einklang stehen. Verstehen Sie?“ Und die Rolle der Geldpolitik sei es nun mal, mit einer klaren Strategie Inflation und Arbeitslosigkeit zu verhindern. Dafür sei die Liquiditätssteuerung verantwortlich. Sorge macht ihm jetzt die drohende Lohn-Preis-Spirale. „Ich hoffe, die Gewerkschaften bleiben bei ihren Lohnforderungen vernünftig.“ Es ist die alte Schule, die nichts an ihrem Gewicht verloren hat. So wie damals, als der amtierende Bundesbankpräsident Schlesinger hieß. Ein Mann, der unter jedem Stein nachsah, ob nicht irgendwo Risiken für die Geldentwertung zu entdecken seien. Geldwertstabilitäts-Politiker sind nicht mehr ganz so hoch im Kurs wie in den späten 80ern.

„Die Börse ist der größte Quatschverein, den es gibt“, sagt er. Und meint das nicht im Sinne von Unsinn, sondern dass es dort immer was zu besprechen gibt. Bitcoin und Co. sind für Köhler („größter Betrug“) überflüssig. Die galoppierende Inflation derzeit sei „ein Mist“, aber durch Energiepreissteigerungen bedingt. „Da kann die Notenbank nix machen. Liegt da irgendwo ein Chart zu den Anleihekäufen der vergangenen Jahre? Nein?“, fragt der Veteran von Geld und Zins. Köhler benötigt keine Charts als Denkhilfe. „Im ersten Quartal 2021 hat die EZB erstmals das Volumen der Anleihekäufe auf 600 Milliarden Euro begrenzt. Dann auf 400, zuletzt noch 150 Milliarden Euro.“ Jetzt sei Schluss. „Und das ist gut so!“ 

Eine digitale Währung hält er für überfällig. 60 Notenbanken seien derzeit im Rennen um das elektronische Zahlungsmittel der Zukunft. „Und wissen Sie was? Die Chinesen haben derzeit dabei die Nase vorne!“ Das sei übrigens auch beim Thema der Zukunft der Fall. Was wird die Weltleitwährung? „China hat mit nahezu allen Ländern der Welt Devisen-Swap-Kontrakte.“ Eines Tages werde die Stunde des Yuans kommen.

Es ist eine Lehrstunde. Der Altmeister des Geldes referiert, ohne belehrend zu sein. Er redet und doziert nicht. Die Bundesrepublik hat ihm oft seinen Respekt gezollt und Claus Köhler, dem Professor von der Universität Hannover, das Verdienstkreuz 1. Klasse 1982 verliehen. 1988 dann Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und kurz danach das Große Verdienstkreuz mit Stern. Später, als es um ein Foto von ihm gehen wird, muss er einige Fliegen in seinem Kleiderschrank suchen. „Ohne die mache ich das nicht, ich war immer der Mann mit Fliege.“ Welche passt am besten zum Hemd, wird er dann fragen. Um danach in wenigen Augenblicken die Karierte zu binden. 

Irgendwann steht er im Gespräch auf und geht an seinen Schreibtisch in der Ecke des Wohnzimmers. Eine Glaskugel steht darauf – etwas matt, nach all den Jahren. Zwei Klicks. Der Epson-Drucker gerät ins Drucken. Ich habe Ihnen mal einen kleinen Text verfasst…