Seit 22 Jahren ist Bernd Loebe Chef des Frankfurter Opernhauses. Mit ihm und durch ihn gelang der Sprung in die Championsleague der Kulturtempel. „Ohne Herz ist alles andere nichts“, erklärt er sein Erfolgsrezept.
Irgendwann wird er dann doch mal richtig lachen. Dann wird er sagen: „Ich bin heute gut drauf.“ Beim Foto-Shooting im dritten Rang seines Opernhauses wird das sein. Da, wo vor vielen Spielzeiten alles begann und wo Bernd Loebe seine erste Oper in Frankfurt gesehen hat. Es gab Mozarts Zauberflöte. Der junge Mann hatte ein Ticket für Rang drei, in der vorletzten Reihe.
Mit der Zauberflöte begann eine Liebe zur Frankfurter Oper. Sie hält bis heute. Seit 22 Spielzeiten ist er der Intendant, er sitzt vor, hinter und neben der Bühne. Keine Premiere ohne ihn. Keine Produktion, in der er nicht mit Herz und Ideen um das beste Ergebnis ringt. Aber das hier ist „immer noch mein Lieblingsplatz.“ Er lacht.
Der Weg zu Loebe ist an diesem Donnerstag Mitte November beschwerlich. Sein Büro ist im siebten Stock des Opernhauses und der Fahrstuhl geht mal wieder nicht. Was nicht nur zu Atemnot bei seinen Gästen führt, sondern gleich die komplette interne Logistik zum Erliegen bringt: „Bühnenbilder, Instrumente, Licht – das alles müssen wir jeden Tag hier im Haus bewegen.“ Loebe ist trotzdem gelassen. Dem in die Jahre gekommenen Haus sei nicht mehr zu helfen. „Es ist marode und auch am Ende“, sagt er. „Mal sehen, welche Wunder die Technik heute mal wieder verbringen wird.“
Der Mann spricht leise. Chino, Pullover, der in der Kunstwelt obligatorische Schal. Weiße Turnschuhe, sitzt er auf der Couch in seinem Büro. Es ist ein Eckzimmer mit Aussicht. Im Süden der Main, Richtung Westen der Bahnhof. Erstaunlich wie viel Verkehrslärm sich von der Straße bis in sein Büro Bahn bricht. An der Wand lehnen ein paar Plakate von vergangenen Spielzeiten, auf dem Regal steht ein kleiner goldener Oscar. „Bester Intendant“ steht drauf. Echt ist er nicht, Loebe hat ihn von einer befreundeten Schriftstellerin geschenkt bekommen, er könnte es aber sein: Seit fünf Jahren in Folge ist die Frankfurter Oper beste Oper in Deutschland. Beste Inszenierung. Bester Chor. Bestes Orchester. Bester Regisseur. Auch 2024 wieder. Der Titel „Bester Intendant“ wird nicht vergeben. „Wir spielen in der Welt-Liga“, sagt er nicht ohne Stolz. New York, Paris, Berlin und Wien, das seien die Konkurrenten. Leadership in der Kunstwelt – wie geht das? „Erfolg“, antwortet Loebe mit Bedacht, „kommt nicht von alleine.“ Man müsse eine Matrix bauen, mit vielen Parametern – gerade in der Kunst- und Kulturszene –, die ein Gemeinsames, ein Wohlfühlen schafft, und gleichzeitig ständig auf der Suche nach Neuem sein. Aber Planung allein reicht hier nicht für Perfektionismus: „Ohne Herz“, sagt Loebe, „geht gar nichts.“ Für seine Management-Philosophie erhielt er 2018 den International Leadership Award.
Er spricht viel vom Wohlfühlen, vom Team, vom Esprit. Vom Gemeinsamen. Das Leben sei zu kurz, um sich mit Stinkstiefeln oder Profilneurotikern zu befassen. Gerade mit seinem „GMD“ – Generalmusikdirektor – müsse es eine innige Verbindung geben. „Wenn das nicht funktioniert, funktioniert auch alles andere nicht“, sagt Loebe. 15 Jahre hat er mit Sebastian Weigle gearbeitet, gerungen und aus Orchester und Chor, aus Librettisten und den Diven der Gesangskunst das Beste herausgeholt. Für sein Publikum, für die Oper, für Frankfurt („Wir sind ein wichtiger Werbeträger für die Stadt.“)
Seit vergangener Saison ist nun Thomas Guggeis Chef am Orchestergraben. Ein 31-jähriger Shooting-Star der Szene. Viele große Orchester hat er dirigiert, zuletzt viel debütiert. „Frankfurt“, sagt Loebe leise, so als ob es niemand hören soll, „hat noch gar nicht kapiert, wen wir mit Thomas Guggeis jetzt hier haben.“
Was ist Erfolg in der Kunstszene? Gute Gewinne am Ende des Jahres? Oder eine internationale Reputation? Oder der künstlerische Wert? Abgeräumte Preise und eingeheimste Titel? „Alles von allem“, sagt er dann, weil er auch als Geschäftsführer das Thema Finanzen unter sich weiß. Aber deshalb jetzt eine Blockbuster-Oper nach der anderen ins Programm zu nehmen? „Nein, das wäre zu einfach.“ Wir wollen kein Kommerztempel sein. Wir müssen Kultur wagen. Und den richtigen Mix finden. Neben der komplizierten Uraufführung darf es dann gerne auch mal die opulente Traviata oder Puccini zum Mitsingen geben. Dann sei auch das Haus voll.
Geredet und in den Medien geschrieben werde aber über die Premiere. „Am besten so, dass man morgens aufwacht und der Opernabend noch nachklingt.“ Also eher experimentelle Musik, Neues – vielleicht Gewagtes –, megamoderne Bühnenbilder zu jahrhundertealten Libretti und vor allem immer neue Gesichter und Stimmen. Er hat einen Antritt. „Ich bin ständig auf der Suche nach Wahrheit, nach Wahrhaftigkeit. Nach Musik, die ins Herz geht.“

Bernd Loebe reist viel. Manche Dauergäste in der Frankfurter Oper sagen ihm ein glückliches Händchen nach, in der Programm- und Musikgestaltung und eben darin, besagte Gesangskünstler nach Frankfurt zu holen. Er hat wohl eher ein glückliches Öhrchen für großartige Musik, großartige Stimmen –, die es zu entdecken und zu fördern gelte. Weil die ganz Großen der Szene, die zwischen New Yorks Met, Sydney und Paris pendeln –, dafür sind die Etats in Frankfurt zu klein.
Genau dabei blüht Bernd Loebe auf. Junge Stimmen an die großen Rollen, die großen Arien heranzuführen. Geduld mit den Stimmen zu haben, geduldig mit den Sängern zu sein. Schritt für Schritt. Jahr für Jahr. Teamarbeit sei das. Ständig wäre er im Austausch mit seinen Repetitoren. Ist dieser Sänger jetzt reif für diese Arie? Sind Stimme und Charakter bereit dafür? Es gehe um Glaubhaftigkeit, um die Überzeugungskraft. „Die Stimme, ja klar, sehr wichtig“, aber passe auch der Rest?
Wenn das Wort nicht so negativ belegt wäre, würde man ihn einen Opern- oder Klassische-Musik- oder überhaupt Musik-Nerd nennen. Sein Leben ist und war immer Musik. Schon in der Schule, später im Studium „waren mir Mathe oder Bio eher unwichtig. Mich hat es immer mehr in die Plattenläden gezogen, auf Flohmärkte.“ Immer auf der Suche nach der Aufnahme X oder dem Album Y. Gemeinsam mit seinem Vater habe er damals „Hermann Prey und so bis zum Erbrechen“ gehört. Mit 16 Jahren der erste Opernbesuch. „Danach wollte ich alles hören, alles sehen.“ Sein Jurastudium schmiss er irgendwann, war freier Mitarbeiter in der Kulturredaktion der FAZ und später Musikredakteur beim Hessischen Rundfunk. Elf Jahre als künstlerischer Direktor an der Oper in Brüssel folgten.
6.000 Vinylschallplatten stehen zu Hause. Dazu 4.000 CDs. „Manchmal habe ich Sorge, dass die Wohnung nach unten durchbricht.“ Musik ist schwer. Bei acht von zehn Opernabenden ist er in seinem Haus. Wenn nicht, ist er mit seinen Ohren irgendwo auf der Welt unterwegs. Hört sich junge Talente an, hört neue Opern. Und in der spielfreien Zeit geht er gerne mal in die Alte Oper, wenn dort sein Orchester zu einem symphonischen Konzert lädt. „Manchmal finde ich Musik ohne Gesang auch ganz gut.“
Er mag Debussy, Mussorgski, „ja auch mal Puccini“, Verdi und Wagner. „Hin und wieder auch mal Strauss.“ Aber seine Lieblingsoper sei immer die nächste des Spielplans. Verdis Macbeth kommt jetzt auf die Bühne in Frankfurt. Alles andere sei da unwichtig. Oft sitzt er bei den Proben in der ersten Reihe. Was sollten wir anders, nein, besser machen? „Man muss schon ein bisschen beknackt sein.“ Er lacht.
Dabei plant er das Heute, das Morgen und das Übermorgen parallel. Die ersten Ideen für die Spielzeit 2027/28 seien im Kopf. Welche Ich-mach-das-Haus-voll-Stücke, welche Uraufführungen? Besetzungslisten, Dirigent, Gastsänger, Bühnenbilder, die Regie … Und ob alles zueinander passt. „Regisseure werden schnell übellaunig, wenn sie nicht mit den Sängern proben können.“
Wir gehen durchs Haus. Das Orchester hat gerade Probenpause. Junge internationale Musiker sitzen auf dem Boden der Gänge, futtern Stullen oder Wraps. Er kennt alle. „Glückwunsch. Sie haben heute Geburtstag. Oder liege ich falsch?“ Loebe, der, wie er von sich selbst behauptet, „sehr ordentlich Klavier spielt“, ist hier zu Hause. Es ist sein Haus.
Mehrfach waren andere Opernhäuser und Kulturminister an ihm dran. Die Semperoper, die Staatsoper Berlin mit Daniel Barenboim. „Ich habe mich immer gefragt, was gebe ich auf? Was erwartet mich?“ Er ist Frankfurt seit 22 Jahren treu. Und die Frankfurter ihm. „Ich muss das Publikum mitnehmen. Ich will es überzeugen“, sagt er, „und wenn sich das am Ende, beim letzten Vorhang in einem frenetischen Beifall der Menschen entlädt, dann haben wir nicht viel falsch gemacht.“
Irgendwann Anfang der 2040er Jahre wird es die Premiere für das neue Opernhaus in Frankfurt geben. Genau dort, wo das heutige Haus steht. Am Willy-Brandt-Platz. Er wird dann so um die 90 sein. Nach der Spielzeit 2027/28 läuft zunächst sein derzeitiger Vertrag aus. Man hat nicht den Eindruck, dass dies dann auch das Ende der Loebe-Ära in Frankfurt sein wird.