Mit Herz

Professor Julian Chun ist führend in Europa – vielleicht in der Welt –, wenn es ums Herz geht. Der in Südkorea geborene, aber in Deutschland aufgewachsene ist Kardiologe und Partner im CCB im Markus Krankenhaus in Ginnheim. Jeden Tag verbringt Chun kleine Wunder. 

Irgendwann kommt er dann doch um die Ecke. Genau wie man sich das vorstellt. Leuchtendblauer Arbeitsdress, darüber der obligatorische weiße Kittel, Stethoskop um den Hals. „Espresso, Latte oder einen Cappuccino?“, fragt er. Julian K.R. Chun hat sich um etwa eine halbe Stunde verspätet. Einen besseren Einstieg in dieses Porträt hätte er kaum liefern können: Er war noch im Herzkatheterlabor. „Akuter Herzinfarkt“, sagt er. Und dass „der Patient es jetzt hoffentlich sicher auf die Intensivstation geschafft hat, komplexe ReKa“. Was wohl so etwas wie Kardiologen-Deutsch ist und sagen soll, der Patient hat überlebt. Ein erfolgreicher Start in den Tag.

Julian K.R. Chun (54) ist einer der Topkardiologen Deutschlands. Das K.R. kommt aus dem Südkoreanischen, wo er zwar geboren wurde, aber nicht aufgewachsen ist, und steht für Kyoung-Ryul. Chun sitzt im Partner-Gremium des CCB (Cardioangiologisches Centrum Bethanien)) als Teil des Markus Krankenhauses in Ginnheim, im Frankfurter Nordwesten. 

Wir sitzen in der Lounge seiner Privatklinik, die er mit und fürs Herz nebenbei betreibt. Gegründet und erfunden in der Coronazeit. Als Pflegekräfte rar wurden, mietete er mit seinen Partnern vom CCB von der Krankenhausleitung kurzerhand einen Flur für die private Klientel. Chun ist halb Chefarzt der Kardiologie des Markus Krankenhauses, halb Freelancer „für alle anderen Dinge, die ich so mache“, sagt er, während er durchs Krankenhaus läuft, mal eben die Station zeigen.

Professor Julian Chun kann Interventionelle Kardiologie (DGK), Spezielle Rhythmologie, Invasive Elektrophysiologie und aktive Herzrhythmusimplantate und vieles mehr. Auf der Homepage des CCB wird er auch noch als Facharzt für Innere Medizin geführt. Was Chun treibt und umtreibt, ist viel. Diagnose, Therapie, Intervention, Forschung und Lehre sind die Schlagworte, die fallen.   

Draußen herrscht Großbaustelle, drinnen die für ein Krankenhaus übliche Betriebsamkeit. Blaue Kluften. Maskentragende Schwestern, die Haare unter der OP-Haube versteckt, schwirren herum. Telefone klingeln. Auf dem einen oder anderen Flur stehen Betten. Geräte, die womöglich ein Vermögen kosten.

Das ist die Welt von Julian Chun. Sein Metier ist das Herz, fast täglich ringt er für seine Patienten um ihr Leben. „Beim akuten Herzinfarkt kann es oft um Leben und Tod gehen“, wird er später sagen, „aber das ist am Herzkatheterlabor-Tisch nie ein Thema.“  

Im CCB heißen die Zimmer Suiten. „Sehen aber auch nicht anders aus als in einem sonstigen Krankenhaus“, schmunzelt er beim Blick in Suite 12. Zehn an der Zahl. Viele stehen heute noch leer. Die Türen sind offen. Wir laufen durch die langen Flure des Krankenhauses. Treppe rauf, Treppen runter. Rechts und links. Julian Chun erzählt und spricht, während wir Patienten passieren. 

Unvermittelt stehen wir im Herzkatheterlabor. Durch die große Glasscheibe sehen wir seine Kollegen – alle samt qualifiziert für Interventionelle Kardiologie (DGK), Spezielle Rhythmologie, Invasive Elektrophysiologie und Aktive Herzrhythmusimplantate. Bildschirme flimmern. Es wird Englisch gesprochen. In Chuns Welt landen viele, wie es im Fachjargon heißt, „Fellows“, um sich weiterzubilden, zu lernen oder an Studien teilzunehmen. Italiener, Ärzte aus Japan, aus China – aus der ganzen Welt. Operateure mit Schutzhauben, die Baseball-Caps ähneln, blicken auf Bilder, die live aus dem Herzen des Patienten übertragen werden. „Good to see you“, werden wir mit Blick aus den Augenwinkeln begrüßt. „Alright, looks perfect.“  

Was der Katheter-Spezialist im Herzen des Patienten macht, ist hier als eine Computersimulation zu sehen. Das herzartige Etwas auf dem Bildschirm hat schillernde Farben, mal blau, mal violett, mal rot. Sie wechseln, gehen ineinander über. Der Laie erkennt nichts. Chun ist in seinem Element: „Wir sehen hier … wir sehen dort … (Wir sehen nix außer schimmernden Farbflecken.) Rhythmusstörungen, und der Kollege verödet gerade mit kleinen Stromstößen die Ursache.“ Der Katheter ist über die Leiste eingeführt. Der Katheter sei für einen Eingriff über die Arterie des Handgelenks zu groß. „Kleine Gewebeteile der Herzmuskulatur bekommen einen kleinen Stromstoß, das lässt sie veröden“, sagt Chun und ruft in den OP: „Sieht gut aus.“ In zwei, drei Stunden sollte es dem Patienten deutlich besser gehen, „zumindest das Herzrasen sollte dann weg sein.“ Standard? „Nein“, widerspricht er, jedes Herz sei anders. Das benötige volle Konzentration. „Auch wenn wir hier zwölf, manchmal 15 solcher Eingriffe am Tag machen.“ Dazu kommen noch die akuten Infarkte. Kaum ein kardiologisches Zentrum in Deutschland oder Europa macht mehr. Drinnen im Herzkatheterlabor ist die Rhythmusstörung behoben. Der Kollege rauscht vorbei. Der nächste Tisch ist vorbereitet.  

Tagaus, tagein rettet das sechsköpfige Kardiologen-Team um Professor Chun Menschen aus akuter Lebensgefahr oder ergreift präventive Maßnahmen. „Ja“, sagt er da, mit wenig Pathos in der Stimme, „wir retten hier manchmal Leben.“ Seine Spezialdisziplin sind aber Herzrhythmusstörungen. Da forscht er. Da lehrt er, da operiert er. Da gibt es in Deutschland, vielleicht sogar Europa kaum einen besseren. Und dafür kämpft er.

„Je mehr Prävention wir betreiben, desto weniger Menschen liegen am Ende auf unseren HKL-Tischen“, sagt er, durchaus energisch. Es gäbe mittlerweile doch für alles Mögliche einen besonderen Tag im Jahr. AIDS, Hypertonie, den Herzinfarkt …, „aber nicht für Herzrhythmusstörungen.“ Dabei wird in Deutschland einer von drei Menschen im Laufe des Lebens eine relevante Herzrhythmusstörung entwickeln. Seine Erkenntnis: Es gibt kaum ein Krankheitsbild mit einem so großen Knowledge-Gap. Sein Motto: Der Pulse-Day. Die Idee: Man nimmt den Puls vom Mann, von der Frau, den Freunden, den Kindern, der Oma. Zwei Finger am Puls und schon könnte man nach 30 Sekunden mögliche Herzrhythmusstörungen wie beispielsweise Vorhofflimmern früher erkennen. Stolpert der Puls, ist er zu langsam, zu schnell, irgendwie unregelmäßig, muss das nicht immer gleich was Schlimmes sein, erklärt er. Aber die nötige Sensibilität sei geschaffen. Der Tag ist der 1. März. Jedes Jahr.     

Der Pulse-Day ist mittlerweile europäisch geworden. Die Amerikaner sind dabei, Lateinamerika. Asien auch. Und jede Menge Promis. Wie zum Beispiel Iker Casillas, der spanische Torwart-Titan. Julian Chuns Blut – um im Bild zu bleiben – gerät bei dem Thema in Wallung. „Wir sind auf Insta, bereiten gerade eine Social-Media-Kampagne vor.“ Es sei ein zartes Pflänzchen, aber robust. Wer mehr wissen will, sucht unter #PulseDay.

Julian Chun ist zurück in der Lounge der Privatklinik. Eigentlich wollte er Haifisch-Forscher werden. Dass er dann Kardiologe wurde, liegt an der fehlenden Nähe zum Wasser, was in seiner Heimatstadt Göttingen stimmt. Haie sind weit weg. Herzen dagegen in unmittelbarer Nähe.

Er verbrachte einige Jahre in Lübeck und Heidelberg, später lange Zeit am St. Georg Krankenhaus in Hamburg – dem seinerzeitigen Epizentrum für Kardiologie in Deutschland – bevor er vor 14 Jahren nach Frankfurt kam. „Das ist wie auf dem Fußballer-Markt“, erzählt er, „da gibt es auf unsere Disziplin spezialisierte Headhunter, die einem ständig verlockende Angebote machen.“ Wann immer ein Krankenhaus neuen Spirit brauche, neue Therapien anbieten will, dann gehen sie auf den Markt und akquirieren das entsprechende Personal. Was würde ihn reizen? „Ich bin hier sehr zufrieden, wir sind ein Superteam, ich habe die perfekten Partner, wir haben einen Supererfolg und haben viel Spaß zusammen“, wiegelt er ab. Seine Patienten kämen mittlerweile aus der ganzen Welt. Nicht wenige davon sind durchaus bekannt und berühmt. Namen? „No names!“ Wir genießen eine sehr respektable Reputation, auch international. Was will man mehr. Er schon. In den kommenden zwei, drei Jahren will er innovative Therapiemethoden zumindest mitentwickeln, will neue Wege in der Behandlung probieren und die Sensibilität für Herzrhythmusstörungen gesellschaftsweit steigern.    

Kitesurfen lernen würde der passionierte Surfer und Windsurfer gerne noch. Oder ein interessantes internationales Forschungsprojekt leiten. Aber da sei nichts Vergleichbares in Sicht. Und ihm gefalle auch die Unternehmerrolle in Frankfurt ganz gut. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch mal als Angestellter in einem Krankenhaus arbeiten könnte.“ Ein Segen für Frankfurt.