Das Auge für guten Kunststoff

Das Auge für guten Kunststoff

„Du brauchst in unsere Branche viel Erfahrung, um gutes von schlechtem Material zu unterscheiden“: Grünstoff-Gründer Robel Goitom

Robel Goitom ist 38 Jahre alt und sieht aus, als läge sein 30. Geburtstag noch ein gutes Stück in der Zukunft. Die Jugendlichkeit, die er ausstrahlt, steht in einem gewissen Kontrast zu der Abgeklärtheit, mit der er sein Business beschreibt:

„Mit unserer schlanken Aufstellung können wir flexibel auf neue Herausforderungen reagieren“, „Du brauchst in unserer Branche viel Erfahrung, um gutes von schlechtem Material zu unterscheiden.“

Man merkt, da ist einer, der nicht nur ziemlich genau weiß, was er tut, sondern seine wahre Bestimmung gefunden hat: Robel Goitom recycelt Kunststoffabfälle. Und sein Geschäft boomt.

„Absolut irre, was da seit zwei Jahren im Markt passiert“, erzählt Goitom, der sein Unternehmen just in time vor drei Jahren gegründet hat. „Wir sind mitten reingekommen in die Zeit der großen Material-Knappheit“, und man hat den Eindruck, als sei er selbst immer noch überrascht, aber sowas von auf den richtigen Trend gesetzt zu haben. In der Recycling-Branche landete Goitom aus purem Zufall vor zehn Jahren. Davor lagen nach dem Abi der Zivildienst, in dem er Demenzkranke pflegte, ein paar Jahre in der Hotellerie und ein Fernstudiengang „F & B Management“, der einen für die Leitung von Gastronomie-Betrieben qualifiziert. „Aber all das erfüllte mich irgendwie nicht“, sagt Goitom.

Über einen Kontakt kommt er zu einer Firma im Rhein-Main-Gebiet, die Kunststoff wiederverwertet. Dort lernt er etwas aus dem Effeff kennen, um das sich die Industrie aufgrund von Corona, Lieferketten-Problemen und Rohstoffmangel reißt: Polycarbonat, kurz: PC. Ein Stoff, aus dem unzählige Produkte hergestellt werden, vom Interieur für dieAutomobilindustrie über Kunststofflösungen für die Medizintechnik bis hin zu Kabelschächten für die Telekommunikation.

„Es ist unfassbar, in wie vielen Ländern in Europa dieser wertvolle Wertstoff einfach noch verbrannt wird.“

„Als ich anfing, hatte ich keine Ahnung von dem Thema“, so Goitom. Heute kann er mit bloßem Auge erkennen, ob ein Kunststoff wiederverwertbar ist, und wenn ja in welcher Qualität und für welchen Zweck. Und er beobachtet, dass selbst im recycling-verrückten Deutschland immer noch viel zu viel davon viel zu früh unwiederbringlich vernichtet wird.

Die Geburtsstunde von Grünstoff. Goitom mietet 2019 Büroräume in Frankfurt an und legt los. Das Geschäftsprinzip ist einfach: Grünstoff kauft nicht mehr benötigte Kunststoffabfälle auf, bringt sie in die firmeneigene Produktion, sortiert sie nach Qualität, zerkleinert sie zu Mahlgut oder Granulat und verkauft das recycelte Material an die Industrie weiter. Die macht daraus beispielsweise Handydisplays, Stromkästen oder Auto-Armaturen.

„Bis vor kurzem war recycelter Kunststoff um einiges günstiger als die Neuware“, so Goitom. „Die Rohstoffknappheit hat jetzt dafür gesorgt, dass die Preise massiv gestiegen sind.“ Und ein zweiter Trend kommt ihm entgegen: „Die Industrie muss zunehmend mit nachhaltigen Rohstoffen produzieren. Sie benötigt deshalb dringend Kunststoff-Rezyklate, um produzieren zu können.“ 

Unternehmen wie Grünstoff haben also kein Kundenproblem, sondern stehen vor der Herausforderung, genug Lieferanten zu gewinnen, die ihnen ihren alten Kunststoff überlassen. So gesehen braucht es mehr Müll.

„Wir haben vor einiger Zeit ein altes, völlig vergilbtes Stadiondach aus Polycarbonat vor uns gehabt“, erzählt Goitom. „Die alten Stadion-Platten wiederzuverwerten ist ziemlich schwierig. Aber es ist uns gelungen, daraus wieder ein hochwertiges Produkt zu recyclen. Bei sowas sind wir mittlerweile ziemlich einzigartig im Markt.“

Außerdem setzt er – Generation Y-mäßig – auf konsequentes digitales Marketing. Wer bei Google „Polycarbonat Recycling“ eingibt, findet Grünstoff in der Suchmaschine ganz oben. Auf der Website gibt man an, was und wie viel man abzugeben hat, und ab geht die elektronische Post nach Frankfurt in die Zentrale.

„Wir checken die Qualität des angebotenen Materials mittlerweile häufig nur noch per Video“ – das Goitomsche Auge! – „und lassen die Ware über unsere Logistik abholen, wenn sie uns zusagt.“ Grünstoff lädt das Material teilweise tonnenweise ein. Danach geht’s damit nach Elsenfeld in Unterfranken in die Grünstoff-Produktion. Dort wird die Ware von Maschinen zerkleinert. 

Dann wird sie in unterschiedlichen Qualitäten weiterverkauft, etwa an Automobilzulieferer. Wer das Vergnügen hat, einen neuen Sportwagen eines namhaften Herstellers aus Stuttgart zu ergattern, wird eine Mittelkonsole bedienen, die wie Glas aussieht, aber aus Polycarbonat besteht – und unter anderem aus der Produktion von Grünstoff stammt.

Zurzeit beschränkt sich das Unternehmen auf den deutschen Markt. „Damit sind wir erstmal gut beschäftigt“, sagt Goitom. Langfristig sieht er enormes Potenzial für internationales Wachstum. „Es ist unfassbar, in wie vielen Ländern in Europa dieser wertvolle Wertstoff einfach verbrannt wird – und die Unternehmen bezahlen auch noch dafür, anstatt den Rohstoff vor der Verbrennung zu retten.“ Die Mission des Robel Goitom hat gerade erst begonnen.