Das 500-Milliarden-Dollar-Problem
Woran unser Wirtschaftssystem krankt! Was der Klimawandel jetzt schon kostet! Warum die Preise steigen müssen! Im Interview erklärt Ludovic Subran, Chefvolkswirt des Versicherungsgiganten Allianz, warum Wandel und Transformation ohne Alternative sind.
Herr Subran, glauben Sie an die Weisheit des Marktes? Oder an die der Politik?
In dieser Ausschließlichkeit weder noch. Aber ich ahne schon, warum Sie mit der Frage starten.
Ich bin gespannt!
Weil ich mit Blick auf stärkeren Klimaschutz und die nachhaltige Transformation der Wirtschaft hin und wieder auch harte staatliche Vorgaben befürworte.
…was nichts anderes als Verbote sind…
Mag sein. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich an staatliche Steuerung glaube. Ganz im Gegenteil: Ich bin ein großer Freund einer liberalen Wirtschaftsordnung.
Wie passt das zusammen?
Wir dürfen eines nicht außer Acht lassen: Zumindest einen Teil unseres Wohlstandes haben wir in den vergangenen Jahrzehnten auf Kosten von Umwelt und Gesellschaft erwirtschaftet. Klar, davon haben alle profitiert. Unternehmer über Gewinne, Aktionäre über Dividenden, der Staat über Steuereinahmen, die Menschen über gutbezahlte Jobs. Aber wir haben auch gelernt: Das ganze hatte einen Preis. Einen zu hohen Preis.
Den durch CO2-Ausstoß beschleunigten Klimawandel.
Richtig. Die Vergangenheit lässt sich nun nicht rückgängig machen. Aber was die Zukunft angeht, müssen wir dringend daraus lernen. Das bedeutet, dass die Politik den Unternehmen klare Vorgaben machen muss, wenn bestimmte Geschäftsmodelle oder Technologien langfristig schwere Schäden an Umwelt, Mensch und Natur verursachen. Denn für diese Schäden muss am Schluss der Staat aufkommen, wie man sehr anschaulich an den Milliarden-Kosten sehen kann, die beispielsweise durch Überschwemmungen oder Tornados entstehen.
Wirtschaft und Verbraucher klagen über die hohen Kosten.
Kann ich ja verstehen. Aber das ist viel zu kurzfristig gedacht. Im Endeffekt profitieren langfristig alle von einer nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft: Durch höheres und nachhaltiges Wachstum ohne gigantische Folgekosten. Wir haben zu lange Trittbrettfahrer zugelassen, die ihre Kosten an der Natur auf die Gesellschaft abgewälzt haben. Auf Dauer funktioniert das aber nicht.
Ich denke, darauf können sich mittlerweile auch fast alle einigen. Aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Viele Industrieexperten kritisieren zum Beispiel, dass wir in Europa und vor allem bei uns in Deutschland keine technologieoffenen Wege mehr beschreiten, etwa bei der Antriebstechnik von Fahrzeugen. Sehen Sie das auch so?
Da stimme ich Ihnen zu. Da haben wir ein Problem. Das kann man vielleicht ein wenig damit erklären, dass es komplex und zeitaufwendig ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, die einerseits eine Lenkungswirkung haben, andererseits Technologieoffenheit ermöglichen. Verbote sind einfach schnell umsetzbar und effektiv. Aber eben meistens nicht effizient.
Und das ist im Automobilsektor nicht gelungen?
Nein, was schade ist. Denn der Straßenverkehr in der EU ist für ein Fünftel der Treibhausgasemissionen verantwortlich – mehr als jeder andere Sektor. Er wäre also prädestiniert dafür gewesen, frühzeitig verlässliche und technologieoffene Anreize zu setzen. Jetzt ist die Automobilindustrie schon mitten in einer rasanten Transformation mit einem fast ausschließlichen Fokus auf der Batteriezelle und muss gleichzeitig die digitale Revolution bewältigen, inklusive autonomen Fahrens und der Einbindung der Fahrzeugbatterien als Speicher im Stromnetz.
Was viele Unternehmen, insbesondere Zulieferer heftig unter Druck setzt.
Allerdings. Die etablierten Unternehmen und bisherigen Technologieführer müssen extrem darauf achten, nicht den Anschluss zu verlieren. Der Vorteil ist allerdings auch: Die Autoindustrie ist die erste „alte“ Branche, wo nachhaltige Technologien marktreif sind. Das steht anderen Wirtschaftszweigen noch bevor. Denken Sie an die Luft- und Schifffahrt. Was mich optimistisch stimmt: Der Verkehr insgesamt und die Wärmeversorgung der Gebäude soll ja jetzt in den europäischen Emissionshandel integriert werden. Das schafft die Voraussetzungen für technologieoffene Lösungen.
Schauen wir mal auf das halbvolle Glas. Sie haben als Chefvolkswirt eines global tätigen Versicherungsunternehmens und Asset Managers Einblicke in viele Volkswirtschaften und Industrien. Welche Technologieentwicklungen machen Ihnen bei der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft die größte Hoffnung?
Ganz klar die so wichtigen Kerntechnologien Wind, Photovoltaik und Batterien. Denn da können wir schon heute super vorhersehen, wie die Kostenentwicklung sein wird.
Preise vorhersagen? Das geht doch meistens schief.
In diesem Fall nicht. Wir können hier auf „Lernkurven“ zurückgreifen: Wenn wir die aus diesen Technologien hergestellten Kapazitäten verdoppeln, sinken die Kosten der Strombereitstellung um einen recht konstanten Prozentsatz: Um rund ein Viertel bei Wind, um ein Drittel bei Photovoltaik und um ein Fünftel bei Batterien.
Selbst wenn wir da einmal landen: Der Weg zu einer CO2-neutralen Energieerzeugung ist erst einmal teuer – unabhängig davon, dass die Preise für Gas und Öl durch den Ukraine-Krieg explodiert sind. Was wird uns die Transformation der Wirtschaft kosten, Herr Subran?
Sie führen hier ein Interview mit einem Ökonomen. Und für den gibt es eine spannendere Frage: Wieviel sollte uns die Transformation denn kosten? Es sind ja Investitionen, um mit den Folgen des Klimawandels mittels neuer Technologien umzugehen. Und es sind Investitionen, um Schäden abzuwenden! Schauen Sie, die direkten Folgen der Klimaerwärmung von nahe einem Grad führen jetzt schon zu Schäden von mehr als 0,5 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts. Mit einer weiter steigenden Erwärmung werden diese Kosten exponentiell steigen.
Das Welt-Bruttosozialprodukt beträgt 100 Billionen Dollar…
In etwa…Jetzt können Sie rechnen…
500 Milliarden Dollar pro Jahr? Was sind das genau für Schäden?
Das sind interessanterweise Schäden, die viele gar nicht auf dem Radar haben, weil die meisten vor allem an Zerstörungen durch Naturkatastrophen denken. Es gibt aber viel größere Kostenblöcke: Die Verbrennung fossiler Brennstoffe hat insbesondere Atemwegserkrankungen bei vielen Menschen zur Folge. Das führt zu hohen Kosten für die Gesundheitssysteme. Dann haben wir die immensen Folgen des Verlustes an Biodiversität. Dadurch ist die globale Nahrungsmittelversorgung in Gefahr. Wenn Sie alleine diese beiden Aspekte summieren, werden sich die Investitionen in sauberere Luft und eine intakte Natur langfristig locker auszahlen.
Irgendwann einmal. Aber woher soll jetzt das Geld dafür kommen? Müssen wir mit drastischen Steuererhöhungen rechnen? Oder muss der Staat Schulden machen, um zu investieren?
Das ist in der Tat eine schwierige Frage, die Wahl zwischen Pest oder Cholera. Hier bin ich wiederum dafür, weitgehend den Kräften des freien Marktes zu vertrauen. Denn gelöst werden kann das Dilemma nur, wenn die begrenzten staatlichen Mittel konsequent dazu genutzt werden, möglichst viel private Investitionen anzuregen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die grüne Transformation allein vom Staat gestemmt werden könnte.
Womit wir bei Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften wären. Sie spielen als Finanzierer der Wirtschaft eine wichtige Rolle. Wie kann es gelingen, sie in die Transformations-Finanzierung effektiv einzubinden?
Tatsächlich ist die Finanzindustrie ein entscheidender Treiber der Transformation – schon aus purem Eigennutz. Wir als Versicherer zum Beispiel müssen uns zwangsläufig mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Die Allianz geht Engagements über Jahrzehnte ein. Wenn wir da nicht genau analysieren, welche Schäden auf lange Sicht auftreten können, riskieren wir herbe Wertverluste.
Und wie können staatlich-privatwirtschaftliche Kooperationsmodelle aussehen?
Da bin ich ein Freund einfacher Regeln: Der Privatsektor muss bei Public-Private-Partnership-Investitionen das Know-how sowie das Kapital einbringen. Und öffentliche Institutionen einen Teil der Risiken abdecken, weil der Staat hohe Verluste finanziell besser abfedern kann. Dafür braucht es eine vernünftige Balance, die für beide Seiten keine falschen Anreize setzt.
Schauen wir mal ganz konkret auf uns alle, auf die Bürgerinnen und Bürger. Welche Folgen wird die Transformation in unserem Alltag haben? Oder besser: Welche muss sie aus Ihrer Sicht haben?
Wir haben in den vergangenen Monaten aus anderen Gründen hohe Preissteigerungen bei Energie gesehen. Putins Angriffskrieg und seine Antwort auf die westlichen Sanktionen führen zu weniger Gas- und Öllieferungen aus Russland nach Deutschland. Wir erhalten also weniger fossile Energieträger.
Das sorgt für steigende Preise.
Und das wiederum führt zu Verhaltensänderungen bei uns allen. Wir versuchen, weniger Energie zu verbrauchen, damit unsere monatlichen Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Nun hoffen wir alle, dass dieser schreckliche Krieg bald vorbei ist, dann werden auch die Energiepreise wieder sinken. Aber der Mechanismus wird beispielsweise beim CO2-Preis ein ähnlicher sein: Höhere Preise senken den Verbrauch. Das ist grundsätzlich gut so. Und damit das fair vonstatten geht, braucht es internationale Untergrenzen für die CO2-Bepreisung. Die G7 sind darüber glücklicherweise in eine konstruktive Diskussion eingestiegen.
Im Ergebnis bedeutet das aber dauerhaft höhere Energiekosten für jeden Einzelnen.
Ja, wenngleich der CO2-Preis nicht so dramatische Preissteigerungen zur Folge haben wird wie die gegenwärtige Energiekrise. Aber damit Anreize wirken können und sich das Konsumverhalten entsprechend ändert, ist es unvermeidlich, dass die Preissteigerungen auch bei der Bevölkerung ankommen.
Aber wie soll sich eine Familie mit durchschnittlichem Nettoeinkommen das leisten?
Ohne Zweifel, das kann einige Haushalte in der Übergangsphase überfordern. Da ist die Politik gefragt. Sie ist in der Verantwortung, beispielsweise private Investitionen in eine höhere Energieeffizienz von Häusern und Wohnungen steuerlich zu fördern. Oder den Menschen über Steuersenkungen mehr Netto vom Brutto zu lassen. Aber ich will gar nicht drumherum reden: Die Transformation wird finanzielle Härten mit sich bringen. Denken Sie auch an die tiefgreifenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt durch den Umbau der Wirtschaft.
Sie meinen Jobs, die in alten Industrien wegfallen?
Genau. Auch da wird es Verlierer geben. Die Anforderungen an viele Tätigkeiten werden sich ändern. Im besten Fall können sich Menschen weiterbilden oder mit Mitte 40 noch einen anderen Beruf erlernen. Viele müssen mobiler werden, um Jobs in anderen Städten und Branchen zu übernehmen. Aber ich sehe auch, dass die Politik noch finanziellen Spielraum hat, um das abzufedern. Raten Sie mal, wie viele Steuergelder die Staaten weltweit für umweltschädliche Subventionen ausgeben.
Verraten Sie’s mir.
Zwei Prozent des Bruttosozialprodukts. Das sind bei 100 Billionen Euro Wirtschaftsleistung…
…zwei Billionen Euro!
Gigantisch, oder? Würde die Politik diese Summe in die nachhaltige Transformation umleiten, wäre schon viel gewonnen.
Wird es durch die Transformation der Wirtschaft und den Klimawandel auch zu Vermögensverlusten im Sinne von „stranded assets“ kommen? Also dass Unternehmen oder sogar ganze Industriezweige wertlos werden, weil sie politisch nicht mehr gewollt sind?
Ein großer Trugschluss. Das hat nichts mit der Politik zu tun. Den eigentlichen Wandel bringen die mit der Transformation verbundenen Innovationen. Klar wird es dabei auch zu Vermögensverlusten kommen. Wer ein Haus in einer zunehmend von Überschwemmungen oder Sturm gefährdeten Region hat, muss davon ausgehen, dass es im Wert tendenziell sinkt. Und wer als Aktionär in Unternehmen investiert hat, deren Geschäftsmodell auf fossilen Rohstoffen basiert, muss ebenfalls mit Vermögensverlusten rechnen. So ist das, wenn sich Technologien wandeln. Das war auch einst so, als das Automobil als hygienischere Alternative die Pferdekutschen verdrängt hat.
Was für viele überraschend kam. Kaiser Wilhelm II. hat beim Anblick eines Autos angeblich gesagt: „Das ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“ Selbst wenn die Geschichte nicht stimmt – dass neue Technologien in ihrer jeweiligen Zeit unterschätzt werden, kommt immer wieder vor.
Anders als damals sind wir heute aber besser darüber informiert, welche Assets wann wertlos werden, wenn wir die Transformation wie geplant umsetzen. Dafür muss aber eine wichtige Voraussetzung erfüllt sein: Es braucht verlässliche Rahmenbedingungen, nicht nur mit Blick auf ein Klimaziel, sondern konkrete damit verbundene Pfade für Politikmaßnahmen, sei es für die CO2-Bepreisung oder für die finanzielle Förderung spezifischer Technologien.
Wie kann man sich als Anleger oder auch institutioneller Investor gegen diese Risiken absichern? Manche Industrien oder Assets werden ja auch von heute auf morgen gebannt, wie bspw. in Deutschland die Atomkraft?
Da sind wir heute deutlich weiter als noch vor ein paar Jahren, gerade wenn es darum geht, die klimawandelbedingten Transformationsrisiken abzuschätzen. Die Aufsichtsbehörden verlangen von den kreditgebenden Banken ein konsequentes Berichtswesen zu diesen Risiken und führen Stresstests durch. Das hilft, Geschäftsmodelle von Unternehmen und Investitionen abzusichern.
Wie legen Sie als Chefvolkswirt Ihr Geld an? Nur in ESG-konforme Fonds oder Aktien?
Wie sich das gehört, investiere ich breit gestreut über mehrere Anlageklassen – und natürlich in die Aktie der Allianz! So viel Werbung sei mir an dieser Stelle erlaubt. Das Thema Nachhaltigkeit spielt für mich dabei eine große Rolle. Ich mache das auch, weil ich der festen Überzeugung bin: Langfristig werden nur ESG-konforme Unternehmen erfolgreich sein und damit vernünftige Renditen bringen.
ESG-konform zu sein – das schreiben sich alle Banken und Fondsgesellschaften auf die Fahnen. Wirkliche Standards, was grün ist und was nicht, gibt’s aber immer noch nicht. Wie können Anleger einschätzen, ob ihre Anlage wirklich ESG-konform ist?
Das ist zur Zeit in der Tat noch schwierig. Übrigens nicht nur für private Anleger, sondern genauso für institutionelle Investoren. Ich bin deshalb der Meinung, dass wir zusätzliche Offenlegungspflichten brauchen sowie Maßnahmen, Anlegern diese Informationen frei und leicht zugänglich zu machen.
Dafür gibt es doch schon Ansätze.
Ja, die Entwicklung geht in diese Richtung. Aber wir sind noch Jahre von echter Transparenz entfernt. Anleger sind bis dahin darauf angewiesen, eine Bank oder Fondsgesellschaft zu finden, der sie vertrauen. Einen Hinweis kann das gelebte Selbstverständnis eines Investors geben. Die Allianz hat sich beispielsweise mit anderen Finanzinstitutionen in der United Nations convened Net Zero Asset Owner Alliance organisiert. Sie stellt höchste Ansprüche an den Klimaschutz und verlangt, dass Emissionen im eigenen Portfolio konsequent reduziert werden.
Schauen wir noch einmal auf die großen globalen Entwicklungen und die Machtverschiebungen, die da im Gange sind. Wie groß ist die Gefahr, dass wir in 2050 CO2-neutral sind – andere Volkswirtschaften wie China oder die USA uns aber ökonomisch abgehängt haben?
Für 2050 mache ich mir keine Sorgen: Wettbewerbsfähig wird dann nur derjenige sein, der auch nachhaltig ist. Unternehmen oder Länder, die dann noch auf fossile Energieträger setzen, werden auf der Verliererseite sein. Das wissen auch China und die USA. Deshalb bin ich auch zuversichtlich, dass der von der G7 angeregte Klimaclub früher oder später ein Erfolgsmodell wird. Die großen Herausforderungen liegen in der Übergangsphase bis zum Jahr 2050.
Wie unterschiedlich sind denn die Sichtweisen der wichtigsten Industrienationen zum Thema Klimawandel? Wie ernst wird das Thema beispielsweise in China oder Indien genommen, wo alleine 2,8 Milliarden Menschen leben?
Es gibt da zweifelsohne unterschiedliche Haltungen, auch innerhalb der jeweiligen Gesellschaften. Allerdings beobachte ich, dass sich die Sichtweisen immer mehr angleichen. Das hat einen einfachen Grund: Die extremen Wetterereignisse führen immer mehr Menschen vor Augen, wie bedrohlich der Klimawandel ist. Besonders spannend ist die Entwicklung in Australien. Das Land hat sich vom Saulus zum Paulus der internationalen Klimapolitik gewandelt. Und in China steht das Ziel, saubere Luft zu erreichen, ganz oben auf der politischen Agenda.
Mag sein. Aber dennoch gehört zur Realität: CO2 kennt keine Grenzen. Wenn wir in Deutschland massiv Treibhausgase einsparen, viel größere Länder aber umso mehr verbrauchen, haben wir nichts gewonnen. Wie kann man diesem Dilemma entkommen? Eine globale CO2-Steuer dürfte durch die geopolitischen Konflikte in weite Ferne gerückt sein…
Die Ideallösung ist sicherlich der bereits angesprochene Klimaclub. Und ich würde auch nicht die Hoffnung aufgeben, dass mit China – trotz aller politischen Differenzen – auf dem Gebiet der Klimapolitik eine konstruktive Zusammenarbeit möglich ist. In der Zwischenzeit kann ein EU-CO2-Grenzausgleich helfen. Vergessen Sie nicht: die EU ist der größte Markt der Welt! Diese Position kann zu einem enormen Hebel für den Klimaschutz werden.
Bei der Atomenergie geht Deutschland einen Sonderweg. Halten Sie diesen Weg für richtig? Und ist er überhaupt noch durchzuhalten, wo der Ukraine-Krieg zeigt, dass wir uns auf Rohstoffimporte nicht verlassen können?
In der jetzigen Situation wäre es sinnvoll, die verfügbaren Kapazitäten an Kernenergie in Deutschland zur Abmilderung der aktuellen Energiekrise zu nutzen. In der langen Sicht schneidet die Kernenergie allerdings sehr schlecht im Kostenvergleich zu den Erneuerbaren ab. Eine Renaissance der Kernenergie halte ich deshalb nicht für sinnvoll. Wir sollten die Erneuerbaren so weit ausbauen, dass wir auf Dauer ohne Kernenergie auskommen.
Glauben Sie nicht, dass das Thema Nachhaltigkeit angesichts wirtschaftlicher Not in den Hintergrund gerät?
Das hoffe ich nicht, und das glaube ich auch nicht. Die Mehrheit der Menschen hat verstanden, dass der Mangel an Nachhaltigkeit für die derzeitigen Krisen, die wir erleben, mitverantwortlich ist. Der Weg, den wir aus der Krise nehmen bedeutet eben nicht nur mehr Kohle und zusätzliche Flüssiggas-Terminals, sondern insbesondere eine Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren, eine Elektrifizierung des Verkehrs und des Heizens und eine Steigerung der Energieeffizienz. Dass das jetzt alles auf einmal kommt, macht es natürlich teuer.
Wenn Sie mit Blick auf Nachhaltigkeit und das Erreichen der Klimaziele jeweils einen Wunsch frei hätten an Politik, Unternehmen und Verbraucher – welche wären das?
An die Politik: absolut verlässliche und langfristige Rahmenbedingungen; an die Unternehmen: jetzt in grüne Energien investieren; an die Verbraucher: Verhalten und Kaufgewohnheiten ändern. Wenn wir diese drei Maßnahmen, die sich auch noch gegenseitig verstärken, umsetzen, kommen wir im Kampf gegen die Klimakrise einen riesigen Schritt weiter.